Uhrwerk Venedig (German Edition)
war, und das alles Licht verschluckte.
2
Ein Donnergrollen, so laut und wild wie das apokalyptische Brüllen eines zornigen Gottes, rollte über Venedig hinweg. Giacomo fuhr erschrocken in seinem Bett auf, griff sich an die Brust und verzog vor Schmerzen sein Gesicht. Dann sah er den Feuerschein über den Dächern der Stadt durch sein Fenster schimmern. Auf dem Tischchen neben seinem Bett schimmerte schwach die eiserne Verzierung seiner Machina.
»Gustav«, flüsterte er. »Du hast sie erwischt? Die Mutter allen Übels?«
»Das glaube ich weniger«, erklang eine Stimme mit einem fremdartigen Akzent im Dunkel des Schlafzimmers.
»Wer ist da?«, rief Giacomo. »Berno, bist du das, du nutzloser Ochse von einem Diener? Bring mir meinen Stuhl! Rasch! Ich muss in die Werkstatt.«
Statt einer Antwort rollte ein Stuhl, an dessen Seiten zwei große und zwei kleine Räder waren, wie von Geisterhand auf das Bett zu.
»Meintest du den hier, verehrter Freund?« Ein Lachen. Tief, kehlig und voller Hohn. »Ja, ja. So kann es kommen, wenn ein Genie eine seiner eigenen Erfindungen ausprobiert und wie ein Vogel fliegen will, nicht wahr?«
Giacomo runzelte die Stirn, Er kannte diese Stimme. Er hatte sie bereits gehört, aber wem gehörte sie?
»Abdul Al‘hazred, Feinschmied und Schmuckhersteller. Stets zu euren Diensten, werter Herr Fontanelli.«
»Der Araber? Was wollt Ihr? Ich habe Euch für die Verzierungen meiner Schmuckschatulle fürstlich entlohnt.«
Der Schmerz in Giacomos Brust brannte immer heftiger. Ein Schatten schälte sich aus dem Dämmerlicht des Feuerscheins, der immer noch über Venedig schwebte.
»Ja, das habt Ihr. Aber die Verzierungen, wie Ihr sie so abfällig nennt, sind keine Zierde. Sie sind einen Vertrag. Und den werdet Ihr jetzt erfüllen.«
»Ein Vertrag? Was für ein Vertrag?«
»Einen Vertrag, der es mir erlaubt an Eurer Stelle eine Weile in dieser Dimension zu verbleiben. Ihr dürft dafür an den Ort, von dem ich komme.«
Giacomo öffnete den Mund, eine harsche Bemerkung auf den Lippen, als er glaubte, der Hammer eines riesigen Uhrwerks würde auf seine Brust niedersausen. Nach Luft röchelnd fiel er in die Kissen zurück, seine Hände krampften sich um Hals und Brust, so als könne er seinen Lebensgeist mit Gewalt in seinem Körper halten.
»Scht … wehrt Euch nicht, mein Freund. Ihr zögert das Unvermeidliche nur unnötig hinaus.«
Der Schatten griff nach der Schatulle auf dem Tischchen.
»Das hier benötigt Ihr dort nicht, wo Ihr jetzt hingeht.«
Der Schatten löste sich allmählich auf, während Giacomo röchelnd um Luft kämpfte.
»Meine Machina … meine Machina … ein Werk des Teufels … und ich war sein Gehilfe …«
Giacomo bäumte sich noch einmal auf, bog seinen Rücken krampfartig durch … dann verließ ihn mit einem letzten Seufzer seine Lebensenergie.
Der Feuerschein über Venedig verblasste allmählich. Stimmen wurden auf den Straßen und Kanälen laut. Es war, als hätte die Angst sich aus der Stadt zurückgezogen. Und tatsächlich wurde seit jenem Abend kein Schatten mehr in Venedig gesehen.
Venedig, Anno Domini 1535 »Welch wunderbares Geschenk«
Auf dem Markusplatz herrschte buntes Treiben. Händler hatten Stände aufgebaut und boten ihre Waren lautstark an. Es roch nach frischem Brot, knusprigem Braten und allerlei Leckereien. Ein Mann schritt mit gebeugten Schultern durch die Menge. Er sah aus, als trüge er eine unsichtbare Last. Die Menschen machten ihm bereitwillig Platz, denn in ihrer guten Stimmung wollten sie keinen Streit mit einem Fremden, der sichtbar litt.
Ohne auf die Stände, die Rufe oder die Waren zu achten, folgte der Mann einer unsichtbaren Spur. Plötzlich blieb er an dem Stand eines Feinschmieds stehen. Lange Zeit sah er sich die angebotenen Waren schweigend an, der Blick seltsam entrückt. Der Händler wartete ruhig ab. Schließlich hob der Fremde den Blick und deutete auf eine unscheinbare Schmuckschatulle.
»Was soll die hier kosten?«
Der Händler nannte den Preis, und der Fremde zog ohne eine Miene zu verziehen seine Geldbörse hervor.
»Mein Freund, wollt Ihr gar nicht feilschen?«
»Nein. Es wäre nicht angemessen.«
»Warum das?«
»Diese Schatulle wäre das passende Geschenk für meine tote Frau. Ich konnte ihr so etwas nie bieten.«
Der Händler schluckte und hielt dem Fremden die Hand hin.
»Abdul Al‘hazred. Stets zu Euren Diensten, edler Herr. Und mein Beileid, zu Eurem schweren
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