Uhrwerk Venedig (German Edition)
gesprungen. Feine Drahtenden mit Fetzen von Pergament und verbogenen Kupferplättchen hingen lose an winzigen Scharnieren. Über ihren Sinn konnte Hawthorne nur spekulieren. Zwei Merkmale jedoch waren auffällig. Er klopfte gegen das hintere Ende des Bolzens, und wurde mit einem leisen Ächzen von Metall belohnt. Ein Rädchen im Schaft löste sich und fiel auf die Tischplatte.
»Eine starke Feder«, murmelte er. »Was meint Ihr, Meister Francisco, wofür die wohl da ist?«
Der Sergente beugte sich über den Tisch. »Wenn Ihr so fragt: Ich würde sagen, das Ding wird beim Schuss gespannt und treibt dann die Zahnräder und Wellen an. Wofür auch immer.«
»Wofür auch immer«, bestätigte Hawthorne. »Danke, diese Einschätzung entspricht der meinen. In diesem Geschoss lief eine Mechanik, die diese Schraube hier angetrieben hat. Und ich wage zu behaupten, dass jene Reste hier einst Flügel waren, mit deren Hilfe sich das Geschoss steuern ließ. Eine interessante Konstruktion.« Der Capitano begutachtete das andere Ende des Bolzens. Dort fand sich das zweite auffällige Merkmal. Ein gläsernes Röhrchen war in die Spitze der Konstruktion integriert, etwa so lang und so dick wie sein kleiner Finger. Es war zerbrochen und leer. Er streckte die Hand aus, und wollte den Splitter schon berühren, als er, von einer inneren Stimme gewarnt, innehielt. Irgendetwas stimmte mit der Flüssigkeit nicht, die den Schaft beschmiert hatte. Aller Logik nach musste es sich bei ihr um Blut handeln, und dieses sollte inzwischen nahezu geronnen sein. Was es am hinteren Teil des Bolzens auch war. Vorn jedoch, um die Glassplitter herum, glänzte es noch immer. In einer Art, die Hawthorne einen unbestimmten Schauer über den Rücken trieb. Er hatte so etwas schon einmal gesehen.
»Hattet ihr Hautkontakt damit?«
Don und Mordechai schüttelten die Köpfe.
»Nein, Capo«, antwortete Don, »wir sahen keinen Grund, uns zu vergiften.«
Der Capitano nickte. Die Glassplitter waren die Reste einer hohlen, gläsernen Spitze, geeignet zur Aufnahme von Giften - oder Anderem. Höchst effektiv. Und höchst illegal.
»Wo befindet sich die Leiche?«
»Vermutlich noch immer in Cresciczos Wohnung. War das richtig so?«
»Völlig korrekt, Messeri. Aber wir sollten wieder dort sein, bevor die Wachen Wind davon bekommen. Weiß noch jemand davon?«
»Ma no, Capo! Außer uns waren noch Sergente Morosini und Vitale da, aber sie sind beide gegangen, bevor ... es passiert ist.«
»Ist das etwa wieder ein Fall?«, erkundigte sich Don. »Ich meine ein Fall für uns?«
»Ich fürchte. Ich habe da eine Ahnung. Kommt.«
***
Sergente Cresciczo wohnte im Hafenviertel Venedigs - hatte gewohnt. Wie viele der einheimischen Wachleute, der Vigili, hatte er eine kleine private Behausung dem überwachten Leben in der Garnison der Guardia vorgezogen, obwohl dies bedeutet hatte, dass er einen Gutteil seines Soldes für seine Privatsphäre aufgewendet haben musste. Seine Wohnung, eigentlich nur ein schlichtes Zimmer, lag über einer der zahlreichen Lagerhallen in diesem herunter gekommenen Teil der Stadt. Sein exakt 43 Jahre währendes Leben hatte er überwiegend hier oder auf den nächtlichen Straßen und Kanälen der Stadt verbracht. Keine sonderlich berauschende Karriere, wie Bartholomew Hawthorne fand. Die Einsamkeit der Nachtschichtgarde.
Und doch: In seinem eigenen bescheidenen Heim, inmitten seiner wenigen Freunde, ermordet zu werden, war eine der eher unwahrscheinlichen Todesarten gewesen, die Cresciczo erwartet haben mochten.
Erste Kohlen- und Gemüseboote schnauften durch die engen Gassen des Hafenbezirks, doch keiner der verschlafenen Bootsleute nahm Notiz von den drei Gestalten, die die Außentreppe des Lagerschuppens zur Tür hinaufstiegen, hinter der sie der Leichnam des Verstorbenen geduldig erwartete. Oder hätte erwarten sollen.
»Col cazzo!« Don blickte fluchend über die Schulter des Capitanos in einen definitiv Cresciczolosen Raum.
Zur Rechten befand sich eine schlampige Bettstelle aus Strohsäcken und verschlissenen Decken, die linke Seite dominierte ein steinerner Kamin mit Kochstelle. Die einzig weiteren Einrichtungsgegenstände waren ein baufälliger Schrank, an dem einige minderwertige Holzschnitte unanständiger Weibsbilder klebten, ein wackeliges Regal voller Geschirr, überlagerter Esswaren und persönlichen Gegenständen. Und natürlich ein roh gezimmerter Tisch, umgeben von altersschwachen Stühlen und Hockern. Cresciczo hatte
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