Uhrwerk Venedig (German Edition)
die Arme, Beine, den Rumpf und den Kopf Scanzos. Die Greifhände bewegten sich so schnell, dass man nur schemenhaftes Wischen wahrnehmen konnte. Plötzlich lag die Brust frei. Blut spritzte, und die Haut war geöffnet. Darunter ein mechanisches Objekt, ein sechseckige Öffnung. Ein weiterer Greifarm hielt eine biegsame Welle an die Öffnung, das Anschließen war zu schnell gewesen, um es zu sehen. Ein Pfeifen wie von einem Schleifrad war hörbar. Darauf ein Wirbeln vor der Brust, die Metallklammern öffneten sich, und Scanzo fiel aus dem Gestell. Petrucci fing ihn mit einer Leichtigkeit, als sei Scanzo eine Strohpuppe, auf und setze ihn auf einen Hocker.
Gerade konnte Scanzo noch den Schrei hinunterschlucken, zu dem er zu Anfang der Prozedur angesetzt hatte.
»Hier mein Freund, nehmt einen Schluck vom Mohnsaft. Der Schmerz vergeht dann schnell.« Gierig schlürfte der Angesprochene eine trübe Flüssigkeit aus einem Becher. Sofort verschleierten sich seine Augen und er blickte müde, aber wieder völlig gesund wirkend, umher.
»Das ... ist ... noch ... so ... ungewohnt ...«
»Natürlich mein Freund, aber wolltet Ihr jedes Mal mit Mohnsaft völlig betäubt werden, um dann erst am nächsten Tag mit schmerzendem Kopf und schweren Gliedern aufzuwachen? Nein, so ist es besser. Ein schneller Schnitt von meinen Automaten, und Ihr seid wieder ganz.«
Leonardo hatte dem Vorgang mit Entsetzen zugeschaut. Ein chirurgischer Eingriff durch Automaten, so schnell wie es eben nur ein Automat kann. So schnell, dass der Patient keine Zeit hat, Schmerzen wahrzunehmen. Er bückte sich zu Scanzo und schob den Umhang zu Seite. Selbst das Hemd war wieder zugenäht und hatte nur ein paar wenige Tropfen Blut abbekommen.
»Was ist hier geschehen? Ich muss sagen, ich bin voller Verwunderung und Hochachtung. Ihr hab wahrlich meine Ideen von den selbstbewegten Automaten trefflich weiterentwickelt.«
»Und einige eigene Ideen hinzugefügt!« knurrte der kleine Kerl mit Stolz. »Ihr habt gerade erlebt, wie das mechanisches Herz sowie einige andere Aggregate unseres gemeinsamen Freundes wieder aufgeladen wurden. Meine Federn aus einer chimischen Speziallegierung müssten ihn für die nächsten sechs Monate gut versorgen. Ihr müsst wissen, sein Fleischherz ist schwach und seine Leber ist vom vielen Wein hart geworden. Ich musste ihm mechanischen Ersatz einbauen. Immerhin leistet er mir hervorragende Dienste.«
Scanzo war inzwischen auf dem Hocker eingeschlafen und lag mit dem Oberkörper halb auf einer Werkbank. Sein Umhang und das Hemd waren verrutscht und man sah eine ganz Serie von Nähten auf der linken Brustseite und rechts unterhalb der Rippen. Auf der neuesten glänzten noch ein paar Tropfen Blut.
»Darf ich Euch meine Werkstatt zeigen?«
»Aber gerne. Ich brenne vor Neugierde.« So unangenehm Petrucci auch war und so unklar der Grund des Besuchs – außer Scanzos Wunsch, wiederbelebt zu werden- wollte Leonardo auf keinen Fall auf einen Rundgang verzichten.
»Und hier, werter Meister, wohl meine beste Erfindung.« Petruccis rechter Arm wies mit großer Geste auf ein kleines Kästchen, dessen Deckel offenstand. Darin befand sich die wohl komplexeste Mechanik, die Leonardo bisher gesehen hatte. Eine schier unüberschaubare Zahl von Achsen und Zahnrädern. Links unten am äußersten Rand dieses feinsten aller Getriebe glänzte ein winziger Glastropfen.
»Wie Ihr wohl sofort seht, handelt es sich hier um die kunstvollste Unendlichkeitsmaschine, die je von Menschen hergestellt worden ist. Ihre Räder und Achsen übersetzen Kraft in Bewegung. Der Tropfen dort«, er zeigte mit einer eigenartigen Geste, die rechte Hand mit der Innenfläche halb nach oben gedreht und mit allen Fingern außer Ringfinger und kleinem Finger zeigend, zu dem Glastropfen, »eine von mir speziell gefertigte Bologneser Träne.« Durch spezielle chimische Feuer wird sie mit schier unendlicher Spannung aufgeladen. Ihre Kraft ist es, die das andere Ende des Getriebes über Monate laufen lässt.«
Petrucci drehte sein hässliches Gesicht halb hin zu Leonardo. »Aber, großer Meister, das ist natürlich nichts im Vergleich zu Eurem Perpetuum Mobile ...«
Leonardo winkte ab. »Ach dieses Traumgebilde. Nein, ich fürchte, da muss ich Euch enttäuschen. Meine Experimente haben bisher zu nichts geführt.«
Petrucci grinste ihn an. »Natürlich ... ein Geheimnis.« Leonardo sagte nichts und ließ damit Petrucci im Ungewissen.
»Und die Pläne für eine Maschine,
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