Uhrwerk Venedig (German Edition)
die Stadt einmarschieren.«
Der Arzt trat näher an die Werkbank heran, fasste seinen Freund bei den Schultern und blickte ihn eindringlich an. »Du warst mir eine große Hilfe, Jacopo, nun möchte ich dir eine sein. Verlasse die Stadt, geh nach Florenz oder Pisa. Wohin auch immer du möchtest. Nur bleibe nicht hier.«
Jacopo runzelte die Stirn. Wieso hatte Bartolomeo so wenig Vertrauen in das venezianische Heer? »Wir werden nicht verlieren. Die Liga mag mehr Männer zählen, doch wir haben die besseren Maschinen. Auch wenn Flavio Petrucci nicht mehr ist, gibt es genügend kluge Köpfe in der Stadt, um seinen Verlust auszugleichen. Der Doge plant doch sicherlich nicht, untätig herumzusitzen, bis der Frühling kommt. Das müsstest du besser wissen als ich, du genießt sein Vertrauen.«
»Du sagst es. Ich weiß besser Bescheid als du, daher solltest du auf mich hören, mein Freund.« Bartolomeo verstärkte den Griff um Jacopos Schultern. »Ich möchte mir wirklich nicht vorwerfen müssen, dich im Stich gelassen zu haben. Doch ich kann dich nicht zwingen.« Er ließ seinen Freund los und fegte mit einer fahrigen Geste beinahe einen Wust Golddrähte von der Werkbank. Dann rückte er seinen Hut zurecht, den er nicht abgenommen hatte. »Ich werde auf jeden Fall noch in dieser Woche Venedig hinter mir lassen. Leb wohl, Jacopo.«
Mit diesen Worten wandte er sich ab, und Jacopo war viel zu verwirrt, um ihn zurückzuhalten. Erst nachdem die Werkstatttür schon längst hinter Bartolomeo zugefallen war, wurde ihm klar, dass sein Freund ihm irgendetwas verschwiegen haben musste. Was ging im Dogenpalast vor, das Bartolomeo glauben ließ, die Niederlage Venedigs wäre unausweichlich?
Diese Frage ließ ihm keine Ruhe mehr. Der goldene Vogel lag vergessen auf der Werkbank, die Flügel geknickt und verbogen, während Jacopo unruhig zwischen den Regalen auf und ab ging. Was konnte es sein, das Bartolomeo beunruhigte? So sehr er sich auch darüber den Kopf zerbrach, ihm wollte nichts einfallen. Doch vielleicht war der Krieg nur ein Vorwand. Konnte sein Freund gelogen haben, was die Gesundheit des Dogen betraf? Aber wieso sollte er das tun?
Nachdenklich starrte Jacopo aus dem Fenster über seiner Werkbank, ohne die fleckige Hauswand auf der anderen Seite wahrzunehmen. Wie von selbst glitt sein Blick über die hölzerne Platte, auf der Einzelteile und Werkzeug verstreut lagen, suchte die vertraute Form des gläsernen Tintenfasses.
Jacopo stutzte. Hatte er das Glas, das die verbliebenen fünf Termiten enthielt, nicht neben das Gestell mit den Vergrößerungslinsen gestellt? Er war sich fast sicher.
Eilig trat er näher an die Werkbank, suchte die hölzerne Platte mit den Augen ab, hob schließlich einen Bogen Papier an, dann einen dreckigen Lumpen, um darunter nachzusehen. Nach einer Weile wandte er sich den Regalen zu. Er schob Figuren beiseite, um sich zu vergewissern, dass sich nichts dahinter verbarg, ging jedes Regelbrett ab, um sicherzustellen, dass er nichts übersah. Schließlich kehrte er zur Werkbank zurück, sah erneut unter dem Papier und dem Lumpen nach, nur für den Fall.
Beunruhigt ließ Jacopo den Blick durch den Raum schweifen. Die mechanischen Termiten konnten doch nicht einfach fort sein? Er stieg die Treppe zu seiner Schlafkammer hinauf, um auch dort nach dem Tintenfass mit den winzigen Maschinen darin zu suchen. Nachdem er zum dritten Mal die Strohmatratze seines Bettes angehoben hatte, um darunter nachzusehen, seufzte er und strich sich mit der Hand übers Gesicht.
Es half nichts, die Termiten waren fort.
Konnte sie jemand gestohlen haben? Aber wozu? Er hätte sie niemals jemandem verweigert, der der Heilung bedurfte.
Eine andere Möglichkeit gab es allerdings nicht. Jacopo war sich ganz sicher, die kleinen Maschinen nach der Rückkehr aus dem Palazzo Ducale nicht wieder angerührt zu haben. Sie hatten all die unruhigen Tage hindurch auf der Werkbank gestanden, direkt neben dem Gestell mit den Vergrößerungslinsen.
Das bedeutete, dass noch jemand wusste, wie der Doge geheilt worden war. Denn wieso sonst hätte ein Dieb nur das Glas mit den Termiten mitnehmen sollen, wo er doch alle möglichen Figuren aus Gold und Edelsteinen hätte haben können?
Bartolomeos Warnung hallte noch immer in Jacopo nach. Wenn tatsächlich im Dogenpalast etwas nicht mit rechten Dingen zuging, dann hatte dieser Diebstahl womöglich nichts Gutes zu bedeuten. Was heilte, konnte auch immer töten. Jacopo fröstelte, als er
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