Uhtred 6 - Der Sterbende König
ungeordneter bewaffneter Haufen. »Lasst ihn mich einfach töten, Herr«, drängte ich weiter, »dann seid Ihr das Problem bei Sonnenuntergang los.«
»Lasst mich mit ihm reden«, bat Pater Coenwulf.
»Bringt ihn zur Vernunft«, sagte Edward zu dem Priester.
»Und wie bringt man eine in die Enge getriebene Ratte zur Vernunft?«, wollte ich wissen.
Darauf ging Edward nicht ein. »Sagt ihm, er muss sich unserer Gnade ausliefern«, erklärte er Pater Coenwulf.
»Und was ist, wenn er beschließt, Pater Coenwulf stattdessen umzubringen, Herr König?«, fragte ich.
»Ich bin in Gottes Hand«, sagte Coenwulf.
»In Herrn Uhtreds Hand wärt Ihr besser aufgehoben«, murrte Steapa.
Die Sonne stand nun schon dicht über dem Horizont, eine blendende rote Kugel am herbstlichen Himmel. Edward wirkte unsicher, wollte aber weiter entschlossen auftreten. »Ihr geht alle drei«, verkündete er mit fester Stimme, »und Pater Coenwulf übernimmt das Reden.«
Auf dem Ritt hügelabwärts erteilte mir Pater Coenwulf Belehrungen. Ich solle niemanden bedrohen, ich solle nicht den Mund aufmachen, es sei denn, jemand habe das Wort an mich gerichtet, ich solle mein Schwert nicht anrühren, und die Herrin Æthelflæd, darauf bestand er, solle wieder sicher dem Schutz ihres Ehemannes unterstellt werden. Pater Coenwulf war blass und ernst, einer dieser unnachgiebigen Männer, die Alfred mit Vorliebe als Lehrer und Berater eingesetzt hatte. Er war klug, das versteht sich von selbst, sämtliche Priester, für die Alfred eine Vorliebe gehegt hatte, besaßen einen scharfen Verstand, aber er war übereifrig, die Sünde zu verdammen oder sie gar erst zu erfinden, und das bedeutete, dass er Æthelflæds und mein Verhalten verurteilte. »Habt Ihr mich verstanden?«, fragte er, als wir die Straße erreichten, die kaum mehr war als ein zerfurchter Karrenweg zwischen unbeschnittenen Hecken. Bachstelzen schwärmten über die Felder, und weit weg, jenseits der Stadt, kreiste eine große Starenwolke und verlor sich dann in den Weiten des Himmels.
»Ich soll niemanden bedrohen«, sagte ich heiter, »und zu niemandem sprechen und mein Schwert nicht anrühren. Wäre es nicht einfacher, wenn ich gleich das Atmen einstelle?«
»Und wir sollen die Herrin Æthelflæd an den rechten Ort zurückbringen«, sagte Coenwulf fest.
»Was ist denn der rechte Ort für sie?«, fragte ich.
»Das wird ihr Ehemann entscheiden.«
»Aber er will sie ins Kloster schicken«, betonte ich.
»Wenn ihr Ehemann so entscheidet, Herr Uhtred«, sagte Coenwulf, »dann ist es ihr Schicksal.«
»Ich denke, Ihr werdet noch herausfinden«, sagte ich milde, »dass diese Dame ihren eigenen Willen hat. Sie wird sich möglicherweise nicht den Wünschen irgendeines Mannes fügen.«
»Sie wird ihrem Ehemann gehorchen«, verkündetet Coenwulf entschlossen, und ich lachte ihn einfach aus, und das verärgerte ihn. Der arme Steapa sah uns ratlos an.
Um die Stadt waren ein halbes Dutzend Männer aufgestellt, aber sie versuchten nicht, uns aufzuhalten. Es gab keinen Wall, dieses Städtchen war keine Wehrstadt, und so tauchten wir geradewegs in eine Straße ein, in der es nach Dung und Holzfeuer roch. Die Bewohner waren besorgt und still. Sie beobachteten uns, und manche schlugen ein Kreuz, als wir vorbeikamen. Mir fiel auf, dass nur wenige Männer bewaffnet waren. Wenn Æthelwold nicht einmal in seiner eigenen Heimatstadt den Fyrd aufstellen konnte, wie konnte er dann hoffen, die gesamte Grafschaft gegen Edward aufzubringen? Das Tor des Nonnenklosters Sankt Cuthberga öffnete sich einen Spalt, als wir näher kamen, und ich sah eine Frau herausspähen, und dann wurde das Tor wieder zugeschlagen. An der Kirchentür standen mehrere Wachen, aber auch sie unternahmen keine Anstrengungen, um uns aufzuhalten. Sie sahen uns nur finster an, als wir vorbeiritten. »Er hat schon verloren«, sagte ich.
»In der Tat«, stimmte mir Steapa zu.
»Verloren?«, fragte Pater Coenwulf.
»Das hier ist seine Festung«, sagte ich, »aber niemand will sich uns entgegenstellen.«
Zumindest wollte sich uns niemand entgegenstellen, bis wir den Eingang zu Æthelwolds Palas erreicht hatten. Das Tor war mit seiner Flagge geschmückt, wurde von sieben Speermännern bewacht und war mit einer jämmerlichen Barrikade versperrt, die aus Fässern bestand, auf die zwei Holzbalken gelegt worden waren. Einer der Speermänner kam mit großen Schritten auf uns zu und hob seine Waffe. »Nicht weiter«, verkündete er.
»Roll
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