Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
mit der Bundeswehr-Nationalmannschaft sind mir besonders in Erinnerung geblieben. Die erste führte uns im Frühjahr 1982 nach El Paso in Texas. In der Qualifikation für die Weltmeisterschaft mussten wir gegen die USA antreten, der Einfachheit halber trugen wir Hin- und Rückspiel einfach bei den Amerikanern aus. Gleich nach der Ankunft in Texas sollten wir bei einem kleinen Barbecue den kommenden Gegner kennenlernen. Und ich staunte nicht schlecht, als ich meine zukünftigen Gegenspieler erblickte: Riesenhafte Hünen, viele von ihnen Navy Seals, die uns mit gigantischen Steaks und Bergen von Bohnen mitten in der Wüste begrüßten.
Zwei Tage später traten wir zum Hinspiel gegen die US-Boys an. Auf einem mit zum Teil kniehohem Gras bewachsenen Acker rannten uns die Elitesoldaten 20 Minuten lang über den Haufen, dann ging ihnen die Luft aus. Wir gewannen locker mit 6:1 und konnten zwei Tage später auch das Rückspiel mit 7:1 für uns entscheiden. Doch das größte Spektakel hatten wir uns für den letzten Abend aufgehoben. Wir wollten unbedingt auch die mexikanische Kneipenszene erkunden, also marschierten wir Ahnungslosen über die Grenze in die nächstgelegene Stadt: Ciudad Juárez. Niemand von uns wusste, dass dieses Fleckchen Erde schon damals zu den gefährlichsten Orten der Welt zählte. Glücklicherweise hatten wir einen Offizier als Begleitung engagiert, eine ganz wichtige Personalentscheidung, wie sich im Laufe des Abends noch herausstellen sollte.
Zunächst aber enterten wir unter großem Hallo eine Kneipe namens »Mama Cita«, eine unter deutschen Soldaten fast schon berühmt geworden Kneipe. Mama Cita höchstpersönlich machte uns auf, eine etwas zerknittert wirkende Dame, die einen abgetragenen Bundeswehrparka trug. Bei ihr im Laden sah es aus wie nach einem Bombenangriff, überall lagen leere Gläser und Flaschen vom Vorabend, es roch, wie es in ranzigen Kneipen eben nun einmal riecht: Lecker ist anders. Wir brauchten dringend etwas zu trinken. Mama Cita griff sich die alten Gläser von der Theke und mixte uns ihren »Mama Cita Spezial«, eine brutale Mischung, die höchstwahrscheinlich ein junges Rind zur Strecke gebracht hätte. Nach zwei Gläsern dieses Gesöffs konnte man froh sein, wenn man Mama Cita unfallfrei »auf Wiedersehen« sagen konnte. Wir schleppten uns aus der Kneipe und torkelten zurück zu unserem Lager.
Die zweite Reise, die mir eindrucksvoll in Erinnerung geblieben ist, führte uns einige Monate später nach Dschibuti, einer kleinen Staat in Ostafrika, damals eines der ärmsten Länder der Welt. Im Zuge eines groß angelegten Hilfsprogramms der Bundesregierung sollten wir in Dschibuti ein Freundschaftsspiel austragen, um so ein wenig Geld für die Bevölkerung zu sammeln. Für einen jungen Fußballer wie mich, der die Welt bisher nur vom Fußballplatz aus betrachtet hatte, eine unglaubliche Erfahrung. So viel offensichtliche Armut machte uns alle sprachlos. Wer einen Pappkarton besaß, war in manchen Teilen von Dschibuti schon ein reicher Mann. Man führte uns durch ein Flüchtlingslager, wir sahen die Männer, Frauen und Kinder quasi im Dreck hausen. Eine Szene habe ich noch vor Augen: In einem kleinen Wasserloch faulte ein halb verwester Esel vor sich hin, nur Meter von dem Kadaver entfernt, plantschten kleine Kinder im Wasser. Solche Bilder wird man nicht wieder los. Gleich am ersten Abend veranstalteten wir ein öffentliches Training, schnell versammelten sich am Spielfeldrand über hundert Kinder, die uns bei der Arbeit beobachteten. Klar, dass nach dem Training von ursprünglich 20 Bällen keiner mehr da war.
Schon auf dem Hinflug hatte man uns eindringlich gewarnt, in Dschibuti extrem vorsichtig zu sein, was Essen und Trinken betraf. Doch junge Fußballer haben die Weisheit nicht unbedingt mit Löffeln gefressen, von 16 Spielern ignorierte ungefähr die Hälfte alle Warnungen und futterte, was es zu beißen gab. Ein tragischer Fehler. »Montezumas Rache« traf uns fürchterlich. Ich blieb glücklicherweise verschont, doch vielen meiner Mitspieler kam es am Tag des geplanten Freundschaftsspiels oben und unten wieder raus. Als das Spiel begann, hatten wir mit Müh und Not elf Mann zusammen, darunter einige, die unter normalen Umständen ein Bett in Toilettennähe hätten hüten müssen. Nachträglich sollte man diesen Männern für ihre Heldentat die Tapferkeitsmedaille verleihen. Es kam, wie es kommen musste. Nach zehn Minuten bekam Ralf Lohse, einer jener Tapferen, den
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