Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
darunter einen gewissen Diego Armando Maradona. Ich muss zugeben: Ein wenig Angst hatte ich schon. Endlich fiel ich, viel zu spät, in einen unruhigen Schlaf.
Der Tag meines Debüts in der Nationalmannschaft. Beim letzten Kaffeetrinken vor dem Spiel ging Beckenbauer die Aufstellung durch. Mit Uli Borowka in der Startelf. Ging da ein Raunen durch die Mannschaft oder bildete ich mir das nur ein? Immerhin waren wir alle Profis genug, um uns auf die neue Situation einzustellen. Zum Gegner brauchte Franz nicht viel sagen. Argentinien war 1988 eine der besten Mannschaften der Welt, die Spieler des Weltmeisters kannten wir alle ganz genau. Nachdem Franz seine kurze Ansprache beendet hatte, setzten wir Verteidiger uns noch einmal gesondert zusammen. Auch das war damals durchaus üblich. Matthias Herget, Thomas Berthold, Jürgen Kohler und ich besprachen kurz die vorgegebene Taktik des Trainers (Positionstreue, Gegenspieler werden übergeben) und schworen uns auf den prominenten Gegner ein.
Die Fahrt ins Olympiastadion erlebte ich wie in Trance. Und plötzlich stand ich in der Kabine, an meinem Platz hing das grüne Schuppentrikot. Anziehen, Schuhe binden und raus. Warmlaufen und dehnen, sich auf das Spiel konzentrieren. Gar nicht mal so einfach, wenn auf der anderen Seite Diego Maradona mit offenen Schuhen den Ball über seinen Körper rollen lässt. Nicht nur ich schaute mehr als einmal fasziniert den Kunststückchen dieses Genies zu. Wenn ich mich damit nicht komplett zum Idioten gemacht hätte, wäre ich rübergegangen und hätte ihm applaudiert.
Die letzte Ansprache vom Kaiser. Wenige motivierende Worte, ein verbaler Klaps auf die Schultern, mehr geht in solchen Momenten eh nicht. Raus in den Tunnel. Kein Arzt hätte mich aufs Feld gelassen, wenn er mir in diesen Minuten den Puls gemessen hätte. Mein Herz raste vor Aufregung. Gemeinsam mit den Argentiniern marschierten wir auf den Rasen und stellten uns für die Hymnen auf. Mein Herzschlag ging immer schneller, in der Brust, im Hals, im Kopf, hämmerte es wie wild. »Jetzt bloß nicht umfallen!«, rief ich mir in Gedanken zu, auf einen Zusammenbruch bei meinem ersten Länderspiel konnte ich wirklich verzichten. Die letzten Sekunden vor dem Spiel, der Pfiff des Schiedsrichters, los ging es! Sofort raste mir Caniggia entgegen und die Argentinier spielten sich die Bälle zu. Kein Zweifel, jeder von meinen Gegenspielern konnte mehr. Jetzt musste ich beweisen, warum ich dort und an diesem Tag mitmischen durfte.
Wenige Minuten waren gespielt, da passierte etwas, mit dem wir alle nicht gerechnet hatten. Caniggia und Maradona tauschten die Seiten. Vielleicht hatten die Argentinier bemerkt, dass da ein Frischling in der deutschen Abwehrreihe stand und wollten nun ihren besten Mann auf mich ansetzen. Entsetzt blickte ich zur Trainerbank, aber Franz Beckenbauer gab keine Anweisungen, dass auch ich die Seiten wechseln sollte. Im Gegenteil, ich sollte bleiben, wo ich war. Nun also Diego Maradona, der beste Fußballer der Welt. Ach du dickes Ei. In den ersten Szenen ließ ich meinen prominenten Gegenspieler noch gewähren, staunend schaute ich ihm dabei zu, wie er den Ball liebevoll behandelte, ja, geradezu liebkoste, wie ich es noch bei keinem anderen Fußballer gesehen hatte. Dann endlich schaltete sich mein Hirn wieder ein. Maradona hin oder her, das hier war mein erstes Länderspiel und er mein Gegenspieler. Und den galt es auszuschalten. Wie macht man das bei einem Spieler, der so viel besser mit dem Ball umgehen kann als man selbst? Man lässt ihn am besten erst gar nicht in Ballbesitz kommen. Wie ein Klettverschluss heftete ich mich an Maradona, wo er sich auf dem Platz auch bewegte, ich hing ihm bereits im Nacken. Zwei-, dreimal, so mein kurzfristig aufgestellter Plan, musste ich dem Superstar richtig wehtun, dann würde ihm die Lust am Spiel schon vergehen. Aber das hatten auch schon viele andere bei Maradona versucht, selbst nach Blutgrätsche Nummer sechs rappelte er sich zornig auf und warf mir ein paar Freundlichkeiten auf Spanisch an den Kopf. Unser privater Zweikampf dauerte bis zum Schlusspfiff.
Und nun wurde es erst richtig kurios. Fußballer sind äußerst talentierte Souvenirjäger und 1988 gab es auf der Welt kein kostbareres Mitbringsel als das Trikot von Diego Maradona. Noch während das Spiel lief, hatten meine Kollegen erste Annäherungsversuche gewagt, allen voran mein alter Kumpel Lothar Matthäus. Doch dieses Leibchen sollte mir gehören, koste es, was
Weitere Kostenlose Bücher