Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
landeten, standen unsere Mitspieler an ihren Fenstern und jubelten uns, den Olympioniken, begeistert zu.
Sechs Tage vor dem EM-Start absolvierten wir noch einen letzten Test gegen Jugoslawien. Ich spielte, wenn auch nicht überragend, Buchwald saß 90 Minuten auf der Ersatzbank. Jetzt war klar, wer im Auftaktspiel gegen Italien in der Startformation stehen würde.
Zwei Tage vor dem Italien-Spiel veröffentlichte die Bild- Zeitung ein Interview mit Buchwald, in dem er sich über mich und meine fehlenden Qualitäten als Nationalverteidiger beklagte. Eine Schlammschlacht über die Medien, so kurz vor dem Turnierstart, das war für mich wie eine Ohrfeige – obwohl ich selbst nicht gerade zimperlich mit Guido umgegangen war. Ich saß auf meinem Zimmer, die Zeitung auf dem Schoß, als Franz Beckenbauer an meine Tür klopfte. »Uli«, sagte Franz, »ich wünsche mir, dass du auf dieses Interview nicht reagierst, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Das können wir im Moment wirklich nicht gebrauchen.« Ich versprach meinem Trainer, das Kriegsbeil nicht auszugraben. Damit, so meine Hoffnung, würden meinen Chancen auf einen Einsatz nur noch größer werden, als sie es ohnehin schon waren.
Bei der Pressekonferenz am Nachmittag stürzten sich natürlich die versammelten Journalisten auf mich wie Raubtiere auf einen verwundeten Hirsch. Die Posse mit Buchwald und Borowka wollten sie unbedingt weiter ausschlachten. Ich quengelte ein bisschen darüber, dass ich Buchwalds Meinung nicht verstehen könne, hielt mich aber mit den deftigeren Kommentaren, die mir auf der Zunge lagen, zurück. Einzig bei Gunnar Sauer, neben mir der einzige EM-Fahrer aus der Bremer Meistermannschaft, konnte ich mich auskotzen. Gunnar und ich waren uns schnell einig: In dieser Mannschaft voller Münchner und Stuttgarter waren wir Nordlichter eher geduldet als willkommen. Ein Hoch auf die Cliquenbildung.
Der 10. Juni 1988, das Spiel gegen Italien. Am Abend zuvor hatte ich noch mit meiner Mutter telefoniert, sie würde an diesem Tag im Stadion sein, um ihren Sohn als Nationalspieler auf den Platz gehen zu sehen! Beckenbauer rief uns zur letzten Besprechung zusammen. Auf eine Tafel kritzelte er die Aufstellung für diesen Abend. Kohler neben Buchwald. Ich musste die Fäuste in der Tasche ballen, um nicht komplett die Fassung zu verlieren. Trotz des Jugoslawien-Spiels, trotz meiner selbst auferlegten Interviewsperre im Sinne des Teamgeistes würde ich gegen die Italiener nur auf der Bank sitzen. Meine schlechte Laune besserte sich erst, als wir das Stadion betraten und diese ganz besondere Stimmung spürten, die es nur bei großen Turnieren gibt. Scheiß drauf. Das hier war die Europameisterschaft, und obwohl ich nicht auf dem Rasen stand, war ich doch Teil der Mannschaft. Was bildete ich mir eigentlich ein, hier miese Laune zu verbreiten?
Mein Verhalten vor dem Italien-Spiel war typisch für meinen damaligen Charakter. Der über die Jahre antrainierte Ehrgeiz machte sich nun negativ bemerkbar. Denn als Fußballer braucht man vor allem eines: Geduld. Chancen kommen, Chancen gehen. Wenn man sich zu sehr auf ein Ziel versteift, verliert man irgendwann die Fähigkeit, Situationen realistisch einzuschätzen. Nach nur zwei Länderspielen hielt ich es quasi für ein Naturgesetz, bei der EM als Stammspieler aufzulaufen. Statt mein erstes großes Turnier in vollen Zügen zu genießen, war ich blind vor Ehrgeiz mit dem Kopf gegen eine Wand gerannt. Als das Spiel angepfiffen wurde, lehnte ich mich zurück: Deutschland gegen Italien, eine echter Klassiker des Weltfußballs und ich war mittendrin – aber doch nicht dabei! Aber siehe da: Kaum regte ich mich ab, bekam ich meine Chance. Beckenbauer schickte mich nach 76 Minuten für unseren Torschützen Andreas Brehme aufs Feld. Wir spielten unentschieden, 1:1, und ich tauschte mein Trikot mit Alessandro Altobelli.
Auch im zweiten Spiel, gegen Dänemark, saß ich zunächst nur auf der Ersatzbank, doch nach 33 Minuten verletzte sich Buchwald bei einem Zweikampf und musste mit gebrochener Nase ausgewechselt werden. Meine große Chance! Ich vermasselte es – dachte ich jedenfalls. Zwar gewannen wir mit 2:0, aber ich war mit meiner Leistung nicht zufrieden. Zurück im Quartier schlug meine Laune wieder um. Die Cliquenbildung! Buchwald! Der Trainer und seine undurchsichtigen Aussagen! Die Wut hielt an bis zum Spieltag gegen Spanien. Nur wenige Stunden vor der Abfahrt hockte ich mich doch tatsächlich in
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