Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
es wolle! Schon in der 85. Minute hatte ich damit begonnen, dem Weltstar zu erklären, dass er mir doch bitteschön sein Trikot nach Spielende überlassen solle. Diego verstand nur Bahnhof. Das Problem musste ich anders lösen. Das Spiel war kaum abgepfiffen, als ich mir den völlig perplexen Maradona schnappte und ihn wie einen Schuljungen in den Spielertunnel führte. Ich half ihm freundlich, aber bestimmt aus seinem Trikot, drückte ihm mein verschwitztes Hemd in die Hand und verabschiedete mich höflich in den Kabinentrakt. Der arme Diego wusste gar nicht, wie ihm geschah. Eben noch hatte ich versucht seine kostbaren Knöchel wund zu treten, nun tauschte ich nassforsch unsere Trikots. Nur Diego und der liebe Gott wissen, was er mit meinem Jersey gemacht hat.
Ich wusste sehr wohl, was nun zu tun war, denn Fußballer sind nicht nur Souvenirjäger, sie können auch ganz schön gerissene Diebe sein. Zwei Dinge sollte man über die Spezies Profifußballer wissen. Erstens: Wenn ein Fußballer etwas haben möchte, dann wendet er jeden Trick an, um ans Ziel zu gelangen. Nicht nur einmal haben mir Mannschaftskollegen frisch unterschriebene Autogrammkarten aus dem Spind geklaut, um sie anschließend für ein paar Mark zu verkaufen. Zweitens: Fußballer können sehr einfältige Wesen sein. Als Manni Burgsmüller, unser Werder-Oldie, mal eine Flasche »Doppelherz« mit zum Training brachte und uns erzählte, dass er damit mehr Leistung bringen könnte, hatte am nächsten Tag die halbe Mannschaft solch ein Fläschchen in der Tasche …
Nur gut, dass ich bereits einige Erfahrungen mit Fußballern gesammelt hatte. Mein Maradona-Trikot ließ ich in der Kabine nicht aus den Augen und nahm es sogar mit unter die Dusche, um den Langfingern keine Steilvorlage zu geben.
Was für ein Tag. Mein erstes Länderspiel hatte ich mit Maradonas Shirt vergoldet. Ich rief mit meinem Handy, einem taschenbuchgroßen Apparat, bei meinen Eltern an. Mein Vater war richtig mitgenommen, von meiner Mutter ganz zu schweigen. Ich setzte mich ins Flugzeug und flog nach Bremen, das Trikot im Handgepäck. Das Spiel gegen Argentinien hatten wir mit 1:0 gewonnen und das Vier-Länder-Turnier als Dritter beendet. Als Zugabe durfte ich am nächsten Tag in der Presse lesen, dass »der Debütant Uli Borowka« seine Sache gegen den besten Fußballer der Welt sehr gut gemacht habe. Dass ich auch beim Teamchef Beckenbauer einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hatte, erfuhr ich allerdings erst einige Wochen später.
Der Startschuss für eine Karriere in der Nationalmannschaft klingelte in meinen Ohren, doch natürlich stellte ich mir die Frage: Wie ging es jetzt mit mir weiter? Schon im Juni sollte in Deutschland die Europameisterschaft stattfinden, und bis zum Turnierstart gab es noch exakt zwei Spiele, in denen ich mich eventuell empfehlen konnte. Würde das reichen, um mit zur EM zu fahren?
Bei aller Maradona-Euphorie: Zunächst brauchte mich Hannes Löhr wieder in seiner Olympiaauswahl, um die Qualifikation für Seoul endgültig einzutüten. Während also am 27. April die A-Nationalmannschaft gegen die Schweiz testete, lief ich in der Olympiaqualifikation gegen Polen auf. Und trotzdem: Nach nur einem Spiel für die Nationalmannschaft nominierte mich Franz Beckenbauer Ende Mai für seinen EM-Kader! Reichte mir das schon? Natürlich nicht. Inzwischen war ich frisch gebackener Deutscher Meister, mein Selbstbewusstsein hatte längst gefährliche Ausmaße erreicht. Heute kann ich sagen, dass mir der schnelle Erfolg damals den Kopf verdreht hatte. Überheblich, selbstverliebt, ja, beinahe großkotzig, forderte ich nun auch einen Stammplatz ein. Nach einem einzigen Länderspiel!
Jürgen Kohler war in der Innenverteidigung gesetzt, das war klar. Vakant war die Position neben Jürgen, mein größter Konkurrent um diesen Platz hieß Guido Buchwald. Der Mann vom VfB Stuttgart war ein außerordentlich begabter Abwehrspieler, aber ich sah mich im Sommer 1988 deutlich vor dem langen Guido. Wer hatte denn die Deutsche Meisterschaft gewonnen? Ich!
Und mein Selbstvertrauen wuchs weiter, als wir am 31. Mai 1988 mit einem Sieg gegen Rumänien im Dortmunder Westfalenstadion tatsächlich die Qualifikation für Olympia schafften. Was für ein erhabener Moment! Gemeinsam mit einigen Nationalspielern wurden wir im Helikopter von Dortmund in die Sportschule Malente geflogen, wo der EM-Kader bereits Quartier bezogen hatte. Als wir um ein Uhr morgens auf einem der Rasenplätze
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