Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
die Spiele sollten vom 17. September bis 2. Oktober stattfinden. Die Situation eskalierte. Ich stritt mich mit meiner schwangeren Frau, die nicht verstehen wollte, welche Aufgabe in Seoul auf mich wartete, während ich nicht verstand, dass sie ihren Mann in diesen Wochen lieber an ihrer Seite haben wollte statt am anderen Ende der Welt. Ich war vollkommen verwirrt. Immer noch gekränkt von der Nationalmannschaft, wütend auf meine Frau und auf die gesamte Situation. Denn natürlich wollte ich Carmen nicht im Stich lassen, doch es ging ja nicht um irgendein Bundesligaspiel, sondern um die Olympischen Spiele! Ich musste eine Entscheidung treffen.
Wenige Tage vor der Abreise rief ich bei Hannes Löhr an. »Trainer, es tut mir leid, aber ich bin gestern Abend böse umgeknickt und habe mir die Außenbänder im Knöchel überdehnt. Ist auch schon ganz dick. Ich komme nicht mit nach Seoul.«
Ich schob eine lächerliche Pseudoverletzung vor, um zu Hause bei meiner Frau bleiben zu können. Ich log nicht nur meinen Trainer und meine Mitspieler an, sondern vor allem mich selbst. Ich, der ansonsten zur Not auch mit einem offenen Schienbeinbruch in den Flieger nach Südkorea gestiegen wäre, schlich mich nun durch die Hintertür aus der Verantwortung und blieb zu Hause. Es waren furchtbare Tage für mich und sicher auch für Carmen. Sie wusste sehr wohl, dass ich vollkommen entgegen meiner Prinzipien gehandelt und mich komplett verbogen hatte – und ihr diese Sache nun bei jeder passenden Gelegenheit aufs Brot schmieren würde. Die Absage für die Olympischen Spiele 1988 verursachte den ersten großen Riss in unserer Beziehung. Heute würde ich anders handeln. Wie, kann ich mit Gewissheit nicht sagen. Vielleicht würde ich die Karten klar und deutlich auf den Tisch legen: Carmen, das Baby kommt erst nach den Spielen, ich fahre, es macht uns beide sonst nur unglücklich! Oder: Trainer, meine Frau bekommt ein Baby, sie ist hochschwanger und braucht mich jetzt. Danke für die Einladung, aber ich werde nicht mitkommen!
Das wären zumindest eine wesentlich ehrlichere Entscheidungen gewesen als jene, die ich damals traf.
So saß ich im Frühherbst 1988 zu Hause auf meinem Sofa und sah mir die Spiele im Fernsehen an. Sah, wie meine Kollegen im Halbfinale an Brasilien scheiterten und anschließend gegen Italien die Bronzemedaille gewannen. Ein würdiger Auftritt. Während ich in Bremen hockte, mich selbst bemitleidete und ein Bier nach dem anderen in mich hineinkippte. Saufen gegen den Frust, saufen gegen die Wut, saufen gegen das Selbstmitleid. Wer kennt das nicht? Ich jedenfalls kannte es, und dummerweise war das damals meine Methode, mit dem ganzen Stress umzugehen. Die Lüge Olympia trug ich von nun an mit mir herum, und tief im Innern wusste ich sehr wohl, wie bescheuert ich eigentlich war: Suhlte mich im Selbstmitleid, während die Geburt meines ersten Kindes immer näher rückte. Statt mich zu freuen, bedauerte ich mich selbst.
Meine Karriere in der Nationalmannschaft war damit vorbei, bevor sie überhaupt richtig angefangen hatte. Nie wieder wurde ich für ein Länderspiel nominiert, nie bekam ich den Grund dafür zu hören. Ich wurde ja auch bei Werder nicht schlechter, sondern eigentlich immer besser. Doch der Anruf von Franz Beckenbauer blieb aus. Im November 1989 versetzte ich meiner DFB-Karriere dann den endgültigen Todesstoß. Die Sport Bild veröffentlichte ein Interview, in dem ich mich heftig über die Kritik nach der EM beklagte, Guido Buchwald Verfolgungswahn vorwarf und mit dem Satz zitiert wurde: »Mir kommt es so vor, als hätte der Franz was gegen Bremen.« Na gute Nacht. Die Wirkung eines solchen Interviews war mir damals nicht so bewusst wie heute. Kein Berater der Welt würde seinem Schützling heute erlauben, so ein Interview zu geben, keine Pressestelle diese Zitate autorisieren. 1989 tickten die Uhren noch anders. Gut für die Medien, schlecht für mich. Die Brücken in die Nationalmannschaft, die ich mir durch jahrelange und knüppelharte Arbeit selbst Stein für Stein errichtet hatte, sprengte ich nun wie ein Verrückter mit einem lauten Knall selbst in die Luft. Das Kapitel Nationalmannschaft war beendet.
Tagesbericht, Fachklinik Fredeburg
11. April 2000
Heute Morgen waren wir eine Stunde schwimmen. Das hat mir richtig Spaß gemacht. Danach war ich aber richtig kaputt. In der Suchtgruppe habe ich mich für morgen angemeldet mit meinem Suchtbericht. Ich glaube, dass ich gut vorbereitet bin. In
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