Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
Attacke hätte ich normalerweise die Bäume in unserem Garten fällen können. Doch ihm machte es nichts aus. Schlimmer noch: Als ich wenige Minuten später mein Schuhwerk inspizierte – ich lief etwas unrund –, war doch tatsächlich einer der 16-Millimeter-Plastikstollen abgebrochen! Mein Stollen, an Weahs Oberschenkel zerschellt. Unfassbar. Gegen diese Urgewalt wirkten meine Angriffe geradezu lächerlich. Noch ein paar Mal zog ich ihm bei Eckbällen meinen Ellenbogen ins Gesicht, doch nie eine Reaktion. Ich war froh, als dieses Spiel endlich beendet war.
Stürmer erinnern sich an ihre Tore. Mittelfeldspieler an schöne Pässe. Torhüter an Glanzparaden. Ich erinnere mich vor allem an Zweikämpfe. An 90-minütige Eins-gegen-eins-Situationen. An Grätschen über feuchten Rasen, an die blauen Flecken auf den Schienbeinen.
Woran liegt das?
Heute weiß ich es. Ich war ein Süchtiger. Süchtig nach dem nächsten Kick, den mir ein gewonnener Zweikampf brachte. Süchtig nach dem Gefühl, von 50000 gegnerischen Fans gehasst zu werden, weil alle wussten, dass ich ihrem Superstar das Leben schwer machen würde. Deshalb lief ich bei Auswärtsspielen in Dortmund immer als Letzter ein, deshalb machte es mir nichts aus, wenn auf dem Betzenberg Dutzende Bierbecher nach mir geworfen wurden: Um den Hass eines ganzen Stadions zu genießen. Das klingt pervers? Ist es auch, aber ich, Fußballspieler und Adrenalinjunkie, sog die Energie, natürlich auch die positive, wie ein Schwamm in mich auf. Die Emotionen machten mich stärker, schneller, härter. Ich spielte Fußball mit dem Wissen: Wenn ich einen Zweikampf verliere, wenn mein Gegner besser ist als ich, kassieren wir wahrscheinlich ein Gegentor, verlieren wir vielleicht. Man muss sich als Fußballer nicht zwingend einen solchen Druck aufschultern, aber ich tat es aus Überzeugung. Es ist kein Wunder, dass einer meiner besten Freunde in Bremen Oliver Reck wurde. Als Torhüter hatte Olli noch mehr Verantwortung zu tragen. Kleinste Fehler entscheiden bei Torhütern über Sieg und Niederlage. Lass einen Torwart in 85 Minuten zehn Glanzparaden machen, wenn er in der 90. Minute den Ball durch seine Hände rutschen lässt, ist er der Idiot, wird er zum »Pannen-Olli« gekürt. Man muss mental schon so stark sein wie Oliver Reck, um sich von einem so ungerechten Image nicht fertigmachen zu lassen. Mich sollte niemand »Pannen-Uli« rufen. Mich sollte man feiern, fürchten und respektieren. Dafür tat ich auf dem Platz alles. Und wenn die Droge Fußball wieder wirkte, hatte ich mein Ziel erreicht. Dann war der Junkie für einen kurzen Moment ganz mit sich im Reinen.
Doch das Leben eines Junkies ist nie gesund. Egal, ob die Droge Fußball, Arbeit, Ruhm, Alkohol oder Heroin heißt. Die Abhängigkeit kommt schleichend, und dann frisst sie dich genüsslich auf. Im Laufe der Jahre wollte ich immer mehr von diesen rauschähnlichen Zuständen erleben, die mir der Fußball geben konnte. Also formte ich meinen Körper zu einer echten Waffe und setzte diese Waffe auch ein.
Kein Mensch kommt mit so einer Einstellung unbeschadet über die Runden. Ich natürlich auch nicht.
Wie eine Kerze, die von beiden Seiten angezündet wird, brannte ich nach und nach herunter. Wenn man es nicht schafft, für so einen Job den richtigen Ausgleich zu finden, sind persönliche Probleme unausweichlich. Ich hatte zwar meine Frau und zwei wunderbare Kinder, doch als es in unserer Ehe zu Beginn der neunziger Jahre immer heftiger kriselte, wurde auch das Familienleben zu einer heftigen Herausforderung, der ich schließlich nicht gewachsen war. Weil ich immer volle Pulle geben wollte – auf und neben dem Platz – glitt mir mein Leben immer weiter aus den Händen. Die Droge Fußball reichte nicht mehr, um die täglichen Herausforderungen auszugleichen. Der Alkohol, schon in den achtziger Jahren mein stiller Begleiter, wurde Anfang der Neunziger zum Strohhalm, an den ich mich klammerte. Wenn ich mir einen ansoff, lösten sich die Probleme, der Druck, der Stress, plötzlich sanft und leise auf. Eine Droge ersetzte die andere. So wurde ich zum Trinker und der Alkohol meine Medizin. Herbert Grönemeyer hat schon recht: Alkohol ist dein Sanitäter in der Not. Aber wenn du den Sanitäter tagtäglich in Anspruch nimmst, dann sind es keine Beulen und Schrammen, die behandelt werden müssen. Dann bist du schwer krank.
Heute weiß ich es: Ich war zu schwach, um mich all den Problemen im Alltag nüchtern zu stellen. Ich
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