Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
vor 50000 Zuschauern gespielt haben, werden diesen Mechanismus nicht begreifen können. Zeitungsnoten für Fußballer sind auch deshalb ein Witz, weil die meisten Notengeber im Grunde genommen nicht dafür qualifiziert sind, eine Berufsgruppe zu beurteilen, die sie gar nicht kennen. Aber ich schweife ab.
Vermutlich würde ich anders denken und reden, wenn ich das Talent eines Andres Iniesta oder Mario Götze in den Füßen hätte. Doch meine Talente beschränkten sich darauf, härter, ehrgeiziger und ausdauernder als meine Gegner zu sein. Im Laufe der Jahre schaffte ich es, mir aus dieser Handvoll Talent ein Image aufzubauen, von dem ich, zumindest sportlich, profitierte. Viele Gegenspieler in der Bundesliga hatten vor den Spielen gegen Borussia Mönchengladbach oder später Werder Bremen keine Lust auf den Platz zu gehen. Weil sie wussten, dass ich dort mit gewetztem Messer auf sie wartete. Und nicht nur ich: Spieler wie Winnie Hannes, Norbert Ringels, Lothar Matthäus, Hans-Günter Bruns, Mirko Votava oder Dieter Eilts waren ja genauso gefürchtet! Und so ein Image ist hart erarbeitet. Wenn du deinen Ruf hast, dann tust du alles dafür, ihn nicht mehr zu verlieren!
Ich konnte mein Image auf unterschiedlichste Arten nutzen. Natürlich vor allem, um meine Gegner einzuschüchtern. Da gab es die bösen Blicke schon vor dem Spiel, ein paar freundliche Gesten beim Warmmachen und die besagten Sprüche. Gleichzeitig wusste ich, dass ich mit einer einzigen Grätsche ein volles Stadion aufrütteln konnte. Wenn das Weserstadion mal wieder von Lethargie befallen wurde, jagte ich meinen Gegenspieler eben bei nächster Gelegenheit über die Seitenlinie – sofort waren 35000 wieder hellwach und brüllten uns im Idealfall zum Sieg. Als Abwehrspieler sind deine Möglichkeiten diesbezüglich stark eingeschränkt. Läufst du dem Stürmer elegant den Ball ab, weil du schon Sekunden zuvor seinen Laufweg erahnt hast, merkt das kein Mensch. Stehst du geschickt im Raum, blockst einen Steilpass und leitest damit den Gegenangriff ein, gibt es höchstens leisen Szenenapplaus. Aber wenn Uli Borowka Jürgen Klinsmann auf die Socken trat, dann kochte der Kessel!
Man spricht bei Fußballern, die von Jahr zu Jahr besser werden, gerne von der Erfahrung oder Routine, die sich im Laufe eines Fußballerlebens eben ansammelt. Bei mir war es nicht anders. Ich wurde vielleicht nicht schneller, größer oder technisch begabter, aber ich wusste sehr genau, mit welchen Kniffen und Tritten ich die Stürmer aus der Bundesliga an den wunden Punkten treffen konnte. Der eine hasste es, wenn man ihn während des Spiels vollquatschte, den anderen trieb es zur Weißglut, wenn ich ihn am Trikot zog. Nach Jahren in der Liga hatte ich eine Art Karteikästchen in meinem Kopf, wenn ich bestimmte Informationen benötigte, brauchte ich nur im Gedächtnis kramen.
Ich habe nur sehr wenige Spieler erlebt, bei denen meine Methoden nicht fruchteten. Und hatte trotzdem, oder gerade deshalb, meinen Spaß mit ihnen. Ulf Kirsten war so ein Fall. Dem brauchte ich nicht mit bösen Blicken kommen, er schaute einfach noch böser zurück. Und wenn das Spiel begann, war er es, der mir die ersten blauen Flecken verpasste. Trat ich ihn, trat er mich – so ging das 90 Minuten lang. Ein geiles Duell! Das mögen andere masochistisch finden, ich zollte einem solchen Gegenspieler Respekt. Selbst wenn er mir zuvor gezielt in die Knöchel gesprungen war. Ein ähnlicher Giftzwerg war Fritz Walter vom VfB Stuttgart, ein wuseliger Typ, mit allen Abwassern gewaschen, vielleicht der größte Stinkstiefel der Bundesligageschichte. Den so genannten Dirty Talk konnte man mit Fritz voll und ganz durchexerzieren.
Mit George Weah war es noch einmal etwas anderes. Den späteren Weltfußballer, damals noch im Trikot vom AS Monaco, traf ich 1992 im Endspiel um den Europapokal der Pokalsieger. Schon beim Einlaufen musste ich unweigerlich seinen Körper bestaunen: 1,90 Meter groß, 90 Kilo Muskelmasse, Weah platzte vor lauter Kraft fast das Leibchen. Das konnte ja heiter werden. Und das wurde es auch. Bei unseren Zweikämpfen kam ich mir vor, als würde ich gegen einen Wandschrank rennen. Weah war definitiv der stärkste Fußballer, gegen den ich jemals gespielt habe. Das zeigte sich besonders in einer Szene: Mit gestreckten Beinen flog ich auf Weah zu, verpasste den Ball und rammte meine Stollen in seinen Oberschenkel. Weah schüttelte sich kurz, sah an mir vorbei und stand wieder auf. Mit dieser
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