Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
böse an und als wir kurz vor dem Einlaufen ins Stadion gemeinsam im Gang standen, raunte ich ihm zu: »Thon, komm mir heute nicht in die Quere, sonst breche ich dir beide Beine …« Und was machte der junge Kerl? Eingeschüchtert ging er Zweikämpfen mit mir aus dem Weg. Einen Teil meiner Arbeit als Manndecker hatte ich also schon vor dem Anpfiff erledigt.
Diese Masche habe ich eigentlich mit allen Gegenspielern durchgezogen, viele zeigten sich durchaus beeindruckt. Wie Jürgen Klinsmann, den ich später, als ich schon für Werder spielte, wenige Wochen nach der halbjährlichen kicker- Wahl vor dem Spiel fragte: »Klinsmann, hast du mich gewählt?« »Quatsch, Uli, ich doch nicht!« »Und wo kommen dann die ganzen Stimmen her? Verarschen kann ich mich alleine, heute gibt es doppelt auf die Stöcker!« Keine Methode, mit der ich mich in die Herzen der Fußballästheten spielte, die mir aber meistens den gewünschten Erfolg brachte. Ein Olaf Thon, ein Jürgen Klinsmann oder ein Andreas Möller, der sich besonders von verbaler Kriegsführung beeinflussen ließ, waren ja großartige Fußballer, häufig talentierter, meistens kreativer als ich; und um diese Spieler zu stoppen, war mir damals jedes Mittel recht. Auch meine Trainer merkten natürlich schnell, wie sie von meinem ganz speziellen Ruf profitieren konnten. Nicht selten kam es vor, dass mich Jupp Heynckes oder Otto Rehhagel mit der Anweisung »Geh nach vorne und mach denen ein bisschen Angst« in die gegnerische Hälfte schickten.
Wobei ich mich dagegen wehre, dass ich Gegenspieler bewusst verletzt habe. Sprüche, wie jener gegen Olaf Thon, waren einfach das, was sie waren: Sprüche, nicht mehr. Jeder gute Verteidiger muss auch ein guter Schauspieler sein, muss sich vor seinen Gegnern aufplustern und ein wenig Angst und Schrecken verbreiten. Nur wenige Verteidiger im Profifußball sind so gut, dass sie auf diese Spielchen verzichten können. Aber ich bin mir sicher, dass selbst ein Mats Hummels seinen Gegenspielern auf dem Platz ab und an ein paar Nettigkeiten an den Kopf wirft.
Es fällt schwer, an dieser Stelle nicht die »Früher-war-alles-härter-Keule« auszupacken, denn tatsächlich hatten wir in den achtziger und frühen neunziger Jahren mehr Möglichkeiten auf dem Platz. Allein schon deshalb, weil es noch nicht so viele TV-Kameras gab, die selbst den kleinsten Ellenbogenschlag brühwarm in der Wiederholung servierten. Bei Standardsituationen, wenn sich im Strafraum teilweise 16 Mann auf den Füßen standen, flogen die Arme nur so durch die Luft, und wenn der Schiedsrichter gerade nicht hinsah, dann trat ich meinem Gegenspieler auf die Zehenspitzen oder griff kurz mal in die Familienplanung. Ich will mich mit diesen Geschichten nicht rühmen, doch es wäre auch lächerlich, diese schmutzigen Tricks zu verheimlichen. Wobei ich meine Grenzen kannte. Wenn wir im Winter auf gefrorenem Boden spielen mussten, half nur eines, um auf dem knüppelharten Platz einen sicheren Stand zu haben: Vor dem Warmmachen feilten wir in der Kabine unsere Stollen mit einer kleinen Dreikantfeile an, ein wenig Schuhcreme auf den Stollenspitzen half, um bei der Schuhkontrolle durch den Schiedsrichter nicht aufzufallen. Da die Stollen damals aus Lederstücken bestanden, die auf kleinen Nägeln am Schuh befestigt waren, dauerte es nur wenige Spielminuten, bis die obere angefeilte Lederkante abfiel – und wir quasi auf Spikes unterwegs waren. Mit solchen Waffen an den Füßen ging ich natürlich nicht mit gestreckten Grätschen in den Zweikampf, aufgerissene Waden und Oberschenkel wären sonst nicht zu verhindern gewesen …
Mit meiner rustikalen Spielweise stach ich vielleicht aus der Masse heraus, doch auch meine Kollegen in der Bundesliga waren keine Kinder von Traurigkeit. Wenn ich bereits mit einer gelben Karte vorgewarnt war, suchten die Gegenspieler natürlich verstärkt den Zweikampf mit mir – ein Platzverweis gegen mich hätte ihrer Mannschaft einen entscheidenden Vorteil verschafft. An die so viel gepriesene Vorbildfunktion denken Profifußballer im Spiel nicht. Es geht einzig und allein darum, der eigenen Mannschaft einen Vorteil zu verschaffen. Der Gegenspieler fliegt vom Platz, weil man ihn so lange piesackt, bis er die Nerven verliert? Gut so! Der Stürmer schindet einen Elfmeter und die eigene Mannschaft erzielt ein Tor? Genau richtig! Nein, mit Fairness hat das nichts zu tun, aber mit Cleverness. Menschen, die noch nie in ihrem Leben für Geld, die noch nie
Weitere Kostenlose Bücher