Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
war das denn? Notgedrungen zogen wir auf den Busparkplatz vor dem Stadion um, auf Teer und Asphalt versuchten wir ein halbwegs vernünftiges Aufwärmprogramm durchzuziehen, was natürlich äußerst schwierig war. Aller Einspruch unserer Funktionäre bei den italienischen Offiziellen half nichts. Endlich begann das Spiel. Rasen statt Parkplatz, das gefiel uns schon besser.
Es nieselte leicht, das Spielfeld war rutschig. Bei solchen Witterungsverhältnissen graben sich die langen Stollen in den Boden, jeder Schritt kostet noch mehr Kraft. Ob es daran lag, dass ich mir nach einem gewonnenen Zweikampf den Ball im Mittelfeld zu weit vorlegte? Oder doch an meinen begrenzten technischen Fertigkeiten? Jedenfalls tauchte kurz hinter der Mittellinie plötzlich Fiorentinas Abwehrmann Celeste Pin vor mir auf. Der Ball lag nun zwischen mir und ihm. Beide rannten wir mit vollem Tempo aufeinander zu. Nur noch wenige Meter. Gleichzeitig setzten wir zur Grätsche an. Wie in Trance flog ich mit gestreckten Beinen, die Alustollen voran, auf meinen Gegner zu. Jetzt gab es nur noch ihn oder mich. Einer würde dran glauben müssen.
Stollen krachten auf Knochen, Leder auf Haut, Körper auf Körper. Ein furchtbarer Zweikampf, vielleicht die schlimmste Szene meiner Karriere. Wie war ich da nur reingeraten? Der Eisenfuß, die Axt, in einem Showdown wie ein Cowboy im Wilden Westen.
Stille.
Irgendeinen von uns hatte es übel erwischt. Ich wusste nur noch nicht, wen. Ich tastete meine Beine ab. Stand auf. Schüttelte mich und wusste: Du hast noch einmal Glück gehabt. Nicht so Pin. Schreiend vor Schmerzen lag er noch immer auf dem Boden, sein rechtes Bein war merkwürdig verdreht. Immer noch schreiend wurde Pin vom Platz getragen. Später erfuhr ich, wie schwer die Verletzung tatsächlich war: Unterhalb seines Knies war so ziemlich alles zerstört. Er brauchte 18 Monate, um wieder Fußball spielen zu können. Eine Tragödie, die ich nicht gewollt hatte. Trotz aller Härte und Brutalität. Ich schickte Pin Blumen ans Krankenbett und hörte nie wieder etwas von ihm. Angeblich soll er die Blumen nicht angenommen haben. Ich kann es ihm nicht verübeln.
Nach der Aktion mit Pin war ich bei den italienischen Fans natürlich unten durch. Wenn ich am Ball war, kreischte das ganze Stadion vor Hass, kam ich in die Nähe der Seitenlinie, wurde ich mit Feuerzeugen, Münzen und Steinen beworfen. »Uli, willst du raus?«, fragte mich Otto Rehhagel in der Pause. »Geht schon, ich mach weiter«, antwortete ich. An dem Ergebnis konnte ich allerdings auch nichts mehr ändern – durch ein 0:0 schieden wir wieder einmal vorzeitig aus dem europäischen Wettbewerb aus.
Wir waren raus, der Traum vom Titel war ausgeträumt. Wir beseitigten den Kummer über die Niederlage auf Bremer Art. Im Mannschaftsbus wartete eine Zwei-Liter-Flasche Ramazotti auf willige Abnehmer, und fast jeder griff zu. Gemeinsam mit Jonny Otten, meinem Sitznachbarn, leerte ich den letzten Rest im Alleingang. Eine Schlagzahl, die zumindest Jonny nicht wirklich gut bekam. Kaum war die Flasche geleert, zeigte er sichtbare Anzeichen für ein gefährliches Ramazotti-Bäuerchen. Jede Hilfe kam zu spät: Mit einem satten Schwall erbrach sich Jonny über den Vordersitz und unseren bedauernswerten Vize-Präsidenten, der nun wie von der Tarantel gestochen mit vollgekotztem Jackett durch den Bus tobte. »Halt den Bus an, halt endlich den Bus an«, schrie er unseren Fahrer an. Der gehorchte, der Vize packte Jonny und schmiss ihn aus dem Bus! Was für ein herrliches Schauspiel! Erst das Eingreifen Otto Rehhagels, er wolle keinen seiner Spieler in Florenz zurücklassen, verschaffte Jonny wieder eine Mitfahrgelegenheit. Es stank nach Niederlage und Erbrochenem, als wir den Flughafen erreichten.
Tagesbericht, Fachklinik Fredeburg
27. April 2000
Ich mache mir im Moment meine Gedanken über die vielen Abbrüche und Rückfälle. Einerseits sage ich mir, dass mich das nichts angeht, andererseits mache ich mir meine Gedanken, warum es so viele Rückfälle gibt. Ich muss auf mich schauen und meine Therapie machen, alles andere zählt im Moment nicht. Ich werde versuchen, mich weiter einzubringen, aber im Moment vielleicht ein bisschen ruhiger zu sein. Wenn es denn geht und ich mich nicht über jeden Mist aufrege.
VATER AUS DER FERNE
Der erste Tiefschlag meiner Ehe
Saison 1990/91, der 28. September 1990, achter Spieltag, 52. Minute. Werder Bremen gegen Bayern München. Das Tor meines Lebens! Eckball
Weitere Kostenlose Bücher