Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
und Illgner parierte. Es musste schon eine Glanzparade von Oliver Reck gegen Pierre Littbarski sein, um uns wieder ins Spiel zu bringen. Kölns Falko Götz traf zum 4:4 und jetzt hatte der nächste Bremer Schütze die Chance, das Spiel zu entscheiden. Der Schütze, das war ich.
Ich nahm mir den Ball. Ging los. Vom Mittelkreis bis zum Elfmeterpunkt. Ich legte ihn mir zurecht. Ich nahm Anlauf. Zwei Meter, drei Meter, vier Meter. Wo wollte ich denn hin? Der Pfiff vom Schiedsrichter. Wohin sollte ich schießen? Und vor allem wie? Was passierte eigentlich, wenn ich den Ball jetzt nicht versenken … schon lief ich an, den Blick starr auf den Ball gerichtet. Der Regen, der Ausrutscher von Klaus – ich würde mit der Innenseite schießen, die einfache Variante! Ja! Tor! Der Ball lag tatsächlich im Tor! Wohin mit mir? Meine Beine taten einfach, was sie wollten, ließen mich über die Bande hüpfen und von dort eine halbe Ehrenrunde drehen, kopfüber stürzte ich mich in unseren Fanblock und verschwand in der kollektiven Glückseligkeit. Ich hatte Werder Bremen zum DFB-Pokalsieg geschossen, ich war der König der Welt!
Keine Ahnung, wann ich wieder auftauchte und wer mir die hübsche Mütze geschenkt hatte, die ich bei der Siegerehrung trug. Jetzt war eh alles egal, das ganze Stadion flippte komplett aus und auch bei uns brachen alle Dämme. Arm in Arm hüpften wir in die Kabinen, da nahm mich unser Mannschaftsarzt zur Seite: Man hatte mich als Bremer Kandidaten für die obligatorische Dopingkontrolle ausgelost! Schöner Mist, die Party musste vorerst ohne mich auskommen. Und dann saß ich da. Vollgepumpt mit Adrenalin, verschwitzt und ausgelaugt von mehr als 120 Minuten Pokalendspiel. Wie soll man in so einem Moment pinkeln können? Die Ärzte und Kontrolleure reichten mir ein Bier, um den Harndrang in Gang zu setzen. Und noch eins. Und noch eins. Unter der Aufsicht von Medizinern schüttete ich zehn Flaschen Bier in mich rein, bis sich meine Blase endlich entschloss, dem kuriosen Treiben ein Ende zu bereiten. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man heute darüber lachen: Ein zu diesem Zeitpunkt bereits psychisch abhängiger Alkoholiker wird unter ärztlicher Aufsicht gnadenlos abgefüllt!
Leicht angeschossen torkelte ich endlich mit unserem Doktor davon, singend zog ich in die Kabine ein – und blickte in einen leeren Raum. Die Kerle waren einfach schon ohne mich abgehauen! Nach einer schnellen und einsamen Dusche suchte ich mit Dr. Meschede den Mannschaftsbus, doch auch der war längst abgefahren. Sogar die Stadiontore waren bereits abgeschlossen worden. Mühsam überkletterten wir das Hindernis und streckten den Daumen raus. Ein freundlicher Berliner fuhr uns in seinem Wagen zum Mannschaftshotel, wo bereits die Hölle los war. Unter dem Brüllen und Gejohle von frisch gebackenen Pokalsiegern komplettierten wir die Partyrunde. So ein Tag, so wunderschön.
Die historische Pleite mal drei hatten wir damit verhindert und uns die Saison 1990/91 versüßt. Zwei Titel in vier Jahren – meine Bilanz in Bremen konnte sich sehen lassen. Und nicht nur das: Mittlerweile war die Familie Borowka weiter angewachsen. Doch die Geburt meines Sohnes Tomek sorgte auch dafür, dass die Ehe zwischen Carmen und mir einen weiteren großen Riss bekam.
Anfang September war Carmen hochschwanger. Wie schon Irina, hatte sich offenbar auch mein zweites Kind vorgenommen, an einem Spieltag zur Welt zu kommen. Der Geburtstermin von Tomek war für das Wochenende um den 8. September 1990 ausgerechnet worden, an diesem Tag sollten wir mit Werder auswärts in Frankfurt antreten. In der Woche vor dem Spiel lief ich wie auf heißen Kohlen durch die Trainingseinheiten. Mit nur vier Punkten aus vier Spielen waren wir eher mau in die Saison gestartet, ich wusste, dass mich mein Trainer gegen die starken Frankfurter dringend benötigte. Doch wenige Tage vor dem Spiel fasste ich mir ein Herz und nahm Otto Rehhagel zur Seite. »Trainer«, fragte ich, »brauchen Sie mich in Frankfurt? Meine Frau bekommt ein Kind.« Rehhagel ließ sich nicht darauf ein: »Uli, ich brauche Sie sogar dringend!« Was also sollte ich machen? Einfach nicht mit nach Frankfurt fliegen und einen Vertragsbruch riskieren? Schließlich befand ich mich in einem klaren Angestelltenverhältnis, als Profifußballer sogar noch mehr, als jeder andere Arbeitnehmer. Sollte ich etwa wieder ein Verletzung vortäuschen? Das wollte ich unter allen Umständen vermeiden. Schweren Herzens
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