Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
schwäbisch? Was ist schwäbisch für Sie?
Schwäbisch ist für mich zum Beispiel der Begriff »hälinga g’scheid«. Das kann man hochdeutsch fast nicht ausdrücken. Der Begriff imponiert mir ungeheuer, den gibt es hier.
Übersetzen Sie ihn doch mal. Wie kann man das einem Hanseaten erklären?
Dass es Schwaben gibt, die sich ganz blöd anstellen – und doch außerordentlich intelligent sind. Die vieles durchschauen, was man ihnen gar nicht zutraut. Und die manchmal die norddeutschen Schnellschwätzer für ziemlich dumme Hunde halten. Aber das nicht sagen. Sondern in sich hinein lächeln. Dieser Typus gehört für mich zum Schwaben.
Was ist schwäbisch an Ihnen?
Ich bin ein sehr fleißiger Mensch – ich arbeite mit meinen 85 Jahren jeden Tag vier, fünf Stunden in meinem Garten. Gerade habe ich ausnahmsweise keine schwarzen Fingernägel – aber das ist nur Ihnen zu Ehren so. Ich fühle mich in dieser schwäbischen Tradition äußerst wohl.
Obwohl Sie niemals Ministerpräsident werden konnten.
Obwohl ich es gern geworden wäre. Ich hätte Spaß daran gehabt. Ich habe schon manchmal mit dem schwäbischen Volksgeist gehadert. Aber ich bin nie mit meiner Familie aus Schwaben rausgezogen. Ich brauche eine schwäbische Umgebung um mich herum. Ich fühle mich nirgendwo so wohl wie in Schwaben.
Hätten Sie woanders nicht leben können?
In Bonn wollte ich nicht leben. In Berlin hätte ich mir das vorstellen können. Aber wir sind immer im Württembergischen geblieben. Erst Hall, dann Schwenningen und Dornstetten. Jetzt wieder Hall. Ich wollte mit der Familie nicht aus dem Schwäbischen raus – auch der Kinder wegen, die ja damals noch sehr mit Dialekt aufgewachsen sind.
Die Sprache verbindet Sie mit dem Schwäbischen?
Zu Hause reden wir nur Dialekt. Immer noch. Mit meiner Frau, auch wenn ich mit meinen Kindern rede. Mag ja sein, dass das schon ein bisschen ein abgewetztes Schwäbisch ist. Aber es ist Schwäbisch. Und das ist ja auch ein Kernproblem der baden-württembergischen SPD: Wenn Sie mal die Geschichte des Stuttgarter SPD-Ortsvereins angucken, der ja nicht zu den ruhmreichsten der völkerbefreienden Sozialdemokratie gehört, dann werden Sie feststellen, dass schon vor dem Ersten Weltkrieg der Vorsitzende kein Schwabe war. Wilhelm Keil war Hesse. Und wer waren die führenden Sozialdemokraten nach dem Krieg? Alex Möller …
Kein Schwabe.
Karl Mommer …
Auch kein Schwabe.
Ernst Paul aus Esslingen …
Der war Sudetendeutscher.
Dann Fritz Erler …
Auch kein Schwabe. Es fehlt ein gestandener schwäbischer SPD-Politiker.
Carlo Schmid – aber der war in der Bundespolitik. So konnte es der Union gelingen, die Sozialdemokraten als eine Art Auslandsabteilung von Berlin oder Dortmund darzustellen.
Ich finde es interessant, welchen Stellenwert Sie der Sprache geben.
Der Ludendorff 8 – zugegeben: eine schwierige Quelle – hat nach dem Ersten Weltkrieg ein Buch geschrieben über seine Armee. Damals gab es ja noch keine Deutsche Armee, sondern Länderheere – württembergische, bayerische, preußische. Er schrieb also, alle Länder hätten gute und schlechte Regimenter gehabt. Nur Württemberg hatte ausschließlich gute! Und er erklärte das damit, dass im württembergischen Heer über den Dialekt das Verhältnis von Offizier und Mann wesentlich besser gewesen sei als anderswo.
Der Dialekt als Bindemittel.
Natürlich! Als der Adenauer noch Kanzler war, bin ich in den Bundestag gekommen. Wenn da ein Schwabe am Rednerpult stand und sich in seiner Art von Hochdeutsch versuchte, und ein anderer Schwabe von einer anderen Partei ihm eine Zwischenfrage stellte – auch auf Hochdeutsch –, dann antwortete der Redner auf Schwäbisch! Weil man mit einem Landsmann schwäbisch spricht. Das fand ich wunderbar! Wie da ganz elementar das Schwäbische durchbrach.
Das geht aber heute verloren. Ist der Schwabe ein Auslaufmodell?
Ich fürchte, ja. Ich habe sechs Enkel, die ich alle sehr mag und die auch alle besser geraten sind als wir seinerzeit. Aber keiner der Enkel redet wirklich noch Dialekt. Sie verstehen Schwäbisch – und manchmal sprechen sie es auch ein bisschen. Aber meistens reden sie keinen Dialekt. Eine meiner Enkelinnen lebt in Pinneberg, da merkt man überhaupt nicht mehr, dass sie Schwäbin ist. Dass das Schwäbische ausstirbt, befürchte ich sehr.
Sind Sie stolz, ein Schwabe zu sein?
Stolz bin ich auf meine Enkel. Und vielleicht auf meinen Blumenkohl, den ich im Garten ziehe. Stolz ist nicht
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