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Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)

Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)

Titel: Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kienzle
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Deutschen ständig, wir könnten von ihnen Lebensfreude lernen.
    Das halte ich für Popanz. Über den privaten Bereich kann man selbstverständlich nicht reden, aber über die Wirtschaft: wer so eine Verwahrlosung und Korruption schafft! Kein Mensch kann mir erzählen, dass das vorbildhaft sein kann!
    Ist das anarchisch?
    Das ist nicht anarchisch, sondern auf bösartigste Weise gesellschaftszerstörend. Das Gleiche in Bulgarien: Dort gibt es die Superreichen, die ihr Zeug irgendwo auf der Welt verticken. Und der Rest schaut in die Röhre. Das ist doch entsetzlich! In Griechenland ganz genauso. Ich finde nicht, dass man das in irgendeiner Form schön reden sollte.
    Sie sind in Ihren Büchern und auch in Ihren Äußerungen oft schonungslos gradlinig. Im Schwäbischen gibt es den Begriff »Schwärdgosch« 5 – ist das für eine Schwäbin eine Beleidigung oder eher ein Kompliment?
    Das ist ein Kompliment! Ich selber bin eine Terrier-Natur – durch und durch. Liebenswürdig und brav im Privaten. Und kampflustig in der Öffentlichkeit. Wehe ein Feind kommt mir vor die Flinte!
    Und gleichzeitig schreiben Sie einen feinen Humor. Im Gegensatz zum schwäbischen Humor – der ist eher brutal und direkt. Ist der Ihnen vertraut?
    Ich habe mich in meiner Jugend gerne im Wirtshaus aufgehalten. Ich hatte immer, auch in meinen persönlichen Freundschaften, oft und gerne mit einfacheren Leuten zu tun. Ich habe mich nicht immer nur nach dem Höheren verzehrt.
(Sie lacht.)
Ich war schon als Kind neugierig auf verschiedene Lebensweisen, auf Leute, die anders lebten als wir. Insofern erschreckt mich das Derbe nicht. Aber es gibt auch sehr feine Formen des Humors von schwäbischen Dichtern.
    Mörike?
    Ja – zum Beispiel. Mörike ist ja ein sehr feiner Geist.
    Aber der Volkshumor ist ja eher derb. Diese wunderbare Erklärung der Einstein’schen Relativitätstheorie – kennen Sie die?
    Erzählen Sie!
    »Wenn du dei Nas in mei Arsch nei stecksch, dann hoscht du a Nas im Arsch und i hann a Nas im Arsch. Aber i ben relativ besser dro!« 6
    Herr Kienzle!
    Unheimlich derb. Und immer auch anal.
    Das ist der Witz in Deutschland sowieso. Die Analsphäre ist in Deutschland die Witzsphäre. Das ist in anderen Ländern anders. Ich bin natürlich ein bisschen vorsichtiger aufgewachsen.
    Behütet?
    Bei uns waren derbe Sprüche verpönt. Auch religiös verpönt. Bestimmte Dinge durfte man nicht sagen.
    Zum Beispiel?
    Wenn ich als Kind »Arschloch« gesagt hätte, dann hätte ich, glaube ich, eine gefangen. Wir wurden nicht geschlagen – aber das hätte meine Großmutter sehr verstimmt.
    Sie sprechen heute noch, ohne sich zu verstellen, mit einem deutlich schwäbischen Akzent.
    Ich habe keinen Sinn darin gesehen, das zu ändern. Ich rede natürlich nicht mehr so wie in meiner Jugend in Stuttgart – aber für Berliner Ohren ist es klar schwäbischer Dialekt. Ich sah einfach keine Veranlassung, das zu ändern. Außerdem: Ein Schriftsteller lebt auch vom Dialekt. Nicht, dass man dialektal schreibt, aber die Dialekte sind ja wortschöpferisch viel blumenhafter entwickelt. Die haben sehr viel mehr im Gepäck als die Hochsprache.
    Fällt Ihnen ein Beispiel ein?
    Das sind nicht unbedingt bestimmte Redewendungen – es ist vielmehr so, dass mir Leute sagen, in meinen Texten kämen bestimmte Formulierungen aus dem Schwäbischen. Ich kann das selber gar nicht bestimmen, weil es für mich das Natürliche ist.
    Kann man sich im Dialekt präziser ausdrücken als auf Hochdeutsch?
    Es gibt schlicht und ergreifend mehr Wörter. Die Dialekte sind gelenkiger. Ich hatte übrigens gerade eine ganz tolle Dialekterfahrung. Bezaubernd! Ich hatte ein Theaterstück geschrieben, worin ein Oberkellner, der im Jenseits bedient, die Hauptrolle spielt. Das kann nur ein Wiener sein, ist ja klar. Ich habe das aber auf Schwäbisch geschrieben, weil ich des Wienerischen nicht mächtig bin. Dann habe ich den Text einem Freund geschickt, der ihn ins Wienerische übersetzt hat.
    Das hat funktioniert?
    Ich bin vom Stuhl gefallen vor Lachen! Dieser Unterschied der Dialekte! Das Schwäbische ist ein Kleinbürgerdialekt – aus der Enge heraus in die Vielfalt. Das Wienerische entstand in einem Großreich, Habsburger Reich, ein Weltreich, das von ganz hoch oben sofort in die Kaschemme runter geht. Das kann der schwäbische Dialekt gar nicht.
    Ist das Schwäbische provinziell?
    Im Vergleich zum Wienerischen ja. Was nichts Abwertendes ist. Da sind natürlich auch interessante andere

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