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Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)

Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)

Titel: Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kienzle
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württembergischer Abgeordneter 1965 zur Wahl als Bundeskanzler angetreten war. Diese Bundestagswahl hat die politische Landschaft in Baden-Württemberg vollkommen verändert. Vorher, da hat Eppler recht, war das nicht so eindeutig. Die CDU hat bis dahin eigentlich eher in katholischen Gebieten gewonnen. Als der Protestant Ludwig Erhard hier antrat, haben die Protestanten begonnen, auch CDU zu wählen. Mit der Bundestagswahl 1965, nachdem die CDU einen evangelischen Bundeskanzler hatte, sind die ganzen Wahlkreise gekippt – Böblingen, Nürtingen, Leonberg, Pforzheim, Heilbronn bis Ulm. Das war die Wende.
    Heute ist der Westen erschrocken über den Einfluss, den die Religion im Nahen Osten auf die Politik hat – und man vergisst, dass auch bei uns vor 40, 50 Jahren nicht in erster Linie nach politischen Kriterien, sondern nach religiösen gewählt wurde. Gibt es denn außer der Fasnet noch andere Unterschiede zwischen den schwäbischen Katholiken und den Protestanten – war das bloß Folklore? Oder war auch die Lebenseinstellung anders?
    (Er überlegt lange.)
Also, ich glaube, dass die evangelischen Schwaben mit Moral und Gesetz strenger umgehen oder zumindest umgingen als die katholischen. Es gibt ja im Schwäbischen den Ausdruck »knitz«. Den gibt es sonst in der deutschen Sprache nicht. Und er ist auch sehr schwer zu übersetzen.
    Das ist mehr als schlau.
    Es ist ein bisschen überschlau. Das kommt zum Beispiel in der Redensart zum Ausdruck: »Ehrlich währt am längsten. Doch wer nicht stiehlt, der kommt zu nichts.« Auch das ist ein schwäbisches Sprichwort.
    Das ist ein schwäbisches Sprichwort?
    Das ist »knitz«. Und ich glaube, das kann eher ein katholischer Schwabe sagen als einer aus Calw. Insofern gibt’s schon Unterschiede.
    In Ihrem neuen Buch fordern Sie ja eine neue Aufklärung. Und nur wenige Kilometer von Oberndorf entfernt ist die Aufklärung bis heute nicht angekommen – in diesen pietistischen Dörfern. Das wäre ein interessantes Missionsgebiet für Sie!
    Die Aufklärung hat da schon gewirkt. Die haben sich dort der Aufklärung nur nicht ganz geöffnet. Kant, der oberste Anführer der Aufklärer, war ja auch nicht katholisch. Und wenn man an die großen Schwaben denkt: Die waren alle evangelisch und gleichzeitig Aufklärer – Schiller, Hegel …
    Aber die sind auch abgehauen.
    Ja gut, die mussten gehen. Die wurden hier verfolgt – zumindest Schiller.
    Auch Sie sind ein Schwabe – leben aber seit Jahrzehnten in der Pfalz.
    Ich denke in meinem Leben ab und zu darüber nach, ob es damals richtig war zu gehen. Denn ich war ja Bundestagsabgeordneter in Reutlingen/Tübingen und hatte den Wahlkreis glanzvoll gewonnen damals.
    Was lässt Sie zweifeln?
    Wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn ich in Baden-Württemberg geblieben wäre. Ich war hier immerhin Landesvorsitzender der Jungen Union.
    Waren Sie den Stuttgartern zu progressiv?
    Damals war Filbinger 14 in Baden-Württemberg Ministerpräsident. Die Junge Union war damals in Rebellion gegen Adorno 15 und Filbinger. Damals kam ich in den Bundestag. Wir jungen Abgeordneten hatten dort nichts zu sagen. Ich war vorher Richter gewesen – aber der Gerstenmaier 16 hat uns behandelt wie kleine Kinder.
    Gerstenmaier war sehr autoritär?
    Das kann man sagen. Wir waren zu zweit in einem Zimmer und hatten ein gemeinsames Telefon. Hansjörg Häfele und ich. Die alten Schwaben haben uns behandelt wie den letzten Dreck als junge Abgeordnete. Da habe ich mir gedacht: »Das ist mir jetzt zu dumm!«
    Und dann sind Sie in die Pfalz gegangen. War’s da anders?
    In der Pfalz haben sie mir einen Ministerposten angeboten. Der Gerd Weng 18 hat damals gesagt: »In der Partei möchte ich nicht sein, wo d’ Lausbuba Minischter werdet!«
    Die Schwaben sind Neuem gegenüber oft sehr skeptisch – und dennoch denken Sie noch heute manchmal darüber nach, ob es richtig war zu gehen?
    Was mich beschäftigt hat, war eine ethische, eine Gewissensfrage. Ich hatte meinen Wahlkreis aufgegeben für ein Ministeramt. Das hat mich schon nachdenklich gemacht.
    Das würde einen Politiker heute doch nicht mehr jucken?
    Ich habe das Amt des Abgeordneten immer als Berufung angesehen. Und das sage ich jetzt ganz im ernst.
    Also kein Job?
    Eine Berufung! Ein Mandat. Fast so, wie wenn einer Priester wird.
    Aber sehr christlich ist Ihre Partei dennoch nicht.
    Christliche Politik kann es nicht geben – dann wären wir ja Ajatollahs! Wir sind aber keine Ajatollahs. Wir haben ein Bild

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