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Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)

Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)

Titel: Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kienzle
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habe damals gesagt: »Ich mache es – aber alle Beteiligten müssen an einen Tisch und alle Fakten auf den Tisch. Und es muss totale Transparenz bestehen – in der Argumentation und in den Sachverständigengutachten, verbunden mit der Finanzierung der Projektgegner durch das Land Baden-Württemberg.« 500000 Euro aus dem Landesetat wurden für das Aktionsbündnis 22 bereitgestellt! Außerdem war klar: Wenn ich das mache, herrscht während der Schlichtung Friedenspflicht, also: Baustopp – und Vergabestopp! Die CDU-Leute und die Bahn haben gedacht, eine Welt bricht zusammen.
    Der Verkehr unter die Erde. Und der Mensch ans Licht – eigentlich eine geniale Idee?
    Die Entstehung dieses Bahnhofs war in der Tat das Ergebnis einer genialen Idee. Gar keine Frage. Da sind in den 1990erJahren vier Leute im Hubschrauber über das Gleisvorfeld geflogen: der damalige Bundesverkehrsminister Tiefensee, der damalige Bahnchef Dürr, Ministerpräsident Erwin Teufel und der Stuttgarter OB Manfred Rommel. Die saßen alle im Hubschrauber und haben diese 100 Hektar gesehen – von Bad Cannstatt bis Stuttgart Mitte. Aber alles nur Gleise und Weichen. Eine Gleiswüste. Noch im Hubschrauber kam die geniale Idee: Wir drehen den Bahnhof um 90 Grad und legen ihn zehn Meter tiefer.
    Also ging es gar nicht um den Bahnhof?
    Doch schon, aber nicht nur. Sie ahnten schon, dass es teuer wird. Jetzt werden 54 Tunnelkilometer gebaut mit zwölf unterirdischen Verzweigungsbauwerken. Ziemlich teuer. Aber sie haben halt – Schwaben, die sie waren – gesagt: »Das macht uns nichts aus. Wir können alles! Außer Hochdeutsch.« Aber von da an wurde ziemlich viel falsch gemacht!
    Warum waren die Politiker nicht in der Lage, den Leuten das Projekt zu vermitteln?
    Das ist nur auf dem Hintergrund einer allgemeinen Entwicklung zu verstehen. Die Finanzkrise – die Leute hatten das Gefühl: Wir werden inzwischen von Interessen beherrscht, von denen wir gar nicht wissen, woher die gesteuert sind. Die Undurchschaubarkeit der politischen und ökonomischen Vorgänge – über das ganze letzte Jahrzehnt hat sich das hingezogen. In Stuttgart kulminierte das dann in diesem Bahnhofsvorschlag. Und hinzu kam die völlig falsche Informationspolitik. Die Leute fühlten sich verschaukelt.
    Ausgerechnet der Schwabe als »Wutbürger« – das hat die Welt irritiert.
    Das war dem Projekt adäquat! Die Stuttgarter haben gesagt: Bei uns in den Schulen fehlt Geld! Bei den Krankenhäusern fehlt Geld! Aber da wird das Geld rausgeschmissen – ohne, dass man vernünftig überlegt. Die lassen uns ja nicht mal über Alternativen diskutieren! Die Leute wurden abgebügelt. Das hat sie auf die Barrikaden gebracht.
    Haben Sie diese Reaktion der Stuttgarter erwartet?
    Mein zweitältester Sohn, er ist Chefarzt in Esslingen am Klinikum, hat mitgemacht. Auch seine Frau. Das Schwäbische an dieser ganzen Geschichte war doch: Sie waren radikal. Aber gleichzeitig waren sie in der Argumentation gegenüber der ganzen Bahnhofsbürokratie und den politischen Parteien ebenbürtig. Da waren intelligente Leute dabei von Ärzten bis zu Rechtsanwälten.
    Aber das Ergebnis war: Es wird gebaut.
    Nein, das war nicht das Ergebnis. Das Ergebnis ist: Es kann nur gebaut werden, wenn zwölf Bedingungen erfüllt werden. Und diese zwölf Bedingungen stammten alle vom Aktionsbündnis.
    Sie haben Mappus den Wahlsieg doch auf dem Silbertablett serviert. Hat der es vermasselt?
    Ich habe überhaupt nichts auf dem Silbertablett serviert. Ich habe ein Ergebnis zusammengefasst. Das hätte auch anders ausgehen können. Das ist die typische Geschichte bei Journalisten – sie können alles nur unter der Brille sehen: wer nützt wem. Aber so ist die Schlichtung nicht abgelaufen. Neun Tage lang, über neun Wochen, von morgens bis abends, in jeder Sekunde, wurde vor einem Millionenpublikum gezeigt, wie Demokratie funktioniert: Argument und Gegenargument. Da war nichts zu verheimlichen.
    Sie sagen, sowohl dieser Protest als auch die Schlichtung waren typisch schwäbisch. Weil es überlegt war, weil es nicht chaotisch war. Es war im Prinzip eine ordentliche schwäbische Revolte. Was ist denn schwäbisch an Ihnen? Eigentlich sind Sie auch ein Bruddler, oder?
    Bei mir ist das überhöht.
(Er lacht.)
    Was verbindet Sie heute noch mit dem Schwäbischen?
    Die Schwäbische Alb, der Bodensee, der Neckar, die Landschaft, die Sprache. Aber ich habe das Grab meiner Eltern in Oberndorf nicht aufgegeben. Mein Bruder, der im Krieg gefallen

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