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Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)

Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)

Titel: Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kienzle
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ersten Mal in meinem Leben habe ich so etwas gesehen. Da waren Hunderttausend Menschen …
    … und hauen sich die Köpfe blutig.
    Hauen sich mit dem Krummschwert und bluten wie die Schweine. Und brüllen immer: »Haydar! Haydar! Haydar!« 1 Und ich war da mitten drin, denn wir haben dort gedreht.
    Ich habe dort auch mal gedreht – für die ARD. Mir ist schlecht geworden. Das Blut und die Hitze – nach zwei Stunden stinkt es wie im Schlachthof.
    Alle Generationen laufen da ja durch. Auch die kleinen Buben kriegen eins auf die Fontanelle. Und dann kamen die 20-bis 30-Jährigen. Die haben zu unserem Übersetzer gesagt: »Wenn ihr nach der nächsten Runde immer noch da seid, dann seid ihr nicht mehr da!« Die haben mit Kalaschnikows in die Luft geballert. Und die Fahnen brannten, die israelische und die amerikanische. Und dann sind wir um unser Leben gerannt.
    Wann haben Sie das gedreht?
    In den 90ern war das. »War Shots« hieß der Film. Kriegsbilder.
    Das Aschura-Fest ist ja das wichtigste Passionsfest im schiitischen Glauben, immer am zehnten Tag des islamischen Monats Muharram. Das ist der Jahrestag, an dem Hussein ibn Ali in der Schlacht von Kerbala fiel und damit die Nachfolge des Propheten verlor. Mit diesen Selbstgeißelungen spielen die Gläubigen sein Leiden nach. Passionsspiele gibt es ja auch bei uns in katholischen Gegenden, vor allem in Bayern. Sie sind im Allgäu aufgewachsen – und schon mit 17 oder 18 von dort abgehauen. Warum?
    Ich komme aus ganz einfachen Verhältnissen. Meine Oma hat noch auf dem Feld gearbeitet und »g’huibett«. 2 Von der mütterlichen Seite kommen wir von einem Bauernhof. Da kennst du natürlich die Landschaft, weil deine Mama mit dir immer auf die Felder geht und dir sagt: »Das Schönste, was es gibt, ist diese moränen-hügelige Landschaft.« Wo du irgendwelche Bauern siehst – früher haben die noch mit der Sense gemäht. Jetzt fahren sie mit Handmähern hoch. Wahnsinnig. Das ist so anstrengend! Und da dachte ich mir: Was willst du da werden?
    Skilehrer.
    Ich war kein guter Skifahrer. Aber wenn Sie’s ansprechen: Mein Spielgefährte war der Frank Wörndl. 3 Der wurde immer von seinem Vater abgeholt – zum Skitraining. Mitten aus dem Spiel raus. Dann rief er: »Frank! Du kommscht jetzt!«
    Jetzt sind Sie richtig ins Schwäbische verfallen.
    Ja, das passiert, wenn ich einem Schwaben gegenübersitze. Dann rede ich schwäbisch.
    Ist Sprache für Sie so etwas wie Heimat?
    Ja klar! Das Schöne ist ja, dass einem die Augen aufgehen, wenn einer diesen Dialekt kann. Wenn ich mit meiner Mutter unterwegs bin, verstehst du gar nichts mehr! Dann wird’s richtig urig. Dann kommen plötzlich diese alten Menschen raus: »Herrgottsack, wo kommscht jetzt du her bei dem Sturm?« Und dann wird das unglaublich fremdsprachig. Da heißt dann zum Beispiel »klettern« »klimsen« – »Ge’ mer klimse?« Von »to climb« wahrscheinlich. Oder: »Du bischt doch a Botscha!« »Botscha« – das heißt »Hausschuh«.
    Waren Sie als junger Schauspieler im Allgäu akzeptiert – oder ein Fremdling?
    Ich war ja schon immer so ein bisschen ein Fremdling – man wird ja ein Fremdling, wenn man Schauspieler wird. Als ich anfing und auf der Schauspielschule war und am Wochenende nach Hause kam, haben sie gesagt: »Herrgott – was hoscht denn du do g’macht?« Dann hab ich geantwortet: »Ich war auf der Schule. Wart, ich sprech dir mal vor, was ich dort gelernt habe: »Ich komme langsam, dir ein Werk zu bringen!« – »Hä? Was schwätzescht du denn da für en Scheiß daher?!« So fing es an.
    Ich bin Schauspieler geworden, weil bei uns zu Hause eigentlich die Sprache fehlte. Der Allgäuer redet ja nicht viel, der Schwabe spricht insgesamt eher weniger. Früher war ich total verklemmt und schüchtern. Ich brauchte die Worte, brauchte die Sprache, brauchte die Theaterstücke, damit überhaupt etwas rauskam aus mir – deshalb habe ich eigentlich diesen Beruf ergriffen. Damit etwas aus mir spricht. Jetzt rede ich ja gerade ohne Punkt und Komma. Das kann ich mittlerweile. Früher waren es nur irgendwelche Theater-Helden, die aus mir sprachen.
    Der Allgäuer ist also auch eher maulfaul – wie der Schwabe insgesamt?
    Ja klar. Der schwätzt doch nicht. Der sagt: »Aha«. Urlaute. Dieses »Mhm«. 4
    »Ha?« 5
    »Joo. Schoo.« 6
    »Aha!« 7 (Beide lachen.)
    Permanent kannst du da solche Dialoge führen, die kein anderer versteht. Maulfaul – klar.
    War es für Sie schwierig, das Sprechen an der

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