Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
Anspannung reißt?
Fatzt!
Das ist ein schwäbisches Wort. Das ist lautmalerisch. Das fatzt!
Kann jeder verstehen.
Das kann jeder verstehen. Das kann man gar nicht besser ausdrücken. Da haben die Dialekte einen größeren Schatz als das Hochdeutsche. All diese Sprüche fallen mir wieder ein, während ich an meinem Roman arbeite. Mein Vater hat zum Beispiel gesagt: »Mer ko ned alle Berg ebe macha.« 4 Das kann man überhaupt nicht besser sagen. Oder: »Wenn oiner höher furzt als ihm d’r Arsch g’wachse ischt, fällt er leicht auf denselbigen.« Solche Sachen. Der Dialekt ist schon reich. Und dann ist es halt ein Jammer, wenn er verloren geht.
Geht er denn wirklich verloren?
Ich glaube schon. Ich habe neulich mit dem Bausinger 5 mal drüber g’sprochen. Der sagt: »Der geht nicht verloren. Der verändert sich nur.«
Das meine ich eigentlich auch.
Da bin ich nicht so sicher. Ich habe das Gefühl, der geht mehr und mehr verloren. Und dass unser »Heimatsender« 6 das Schwäbische quasi auf die »Mäulesmühle« 7 reduziert, ist für mich unerträglich – das muss ich schon sagen.
Dieser Humor, der dort gepflegt wird – das ist 19. Jahrhundert. Aber in sich stimmig.
Aber es darf nicht das Einzige sein!
Gut ist der Gôgen-Witz, den mir Heiner Geißler erzählt hat: Ein Student kotzt in den Neckar, der Gôg 8 läuft vorbei und sagt: »So isch recht, no’s Arschloch g’schont!«
Und der andere kommt vorbei und sagt: »Ned fudere, fische!« 9 Für mich war das immer eher Anekdote als Witz.
Das heißt: Die Typen gab es in Wirklichkeit?
Wir hatten im Stälinweg, wo wir in Stuttgart gewohnt haben, einen Nachbarn, der hat darauf geachtet, dass man Kehrwoche gemacht hat. Also wenn mer do d’ Kandel ned putzt hot, isch der komma ond hot g’schellt. 10 Und davor habe ich in Stuttgart-Vaihingen gewohnt. Da hat die Hauswirtin ein Blatt auf die Treppe gelegt, wenn wir Kehrwoche hatten, um zu prüfen, ob wir auch putzen. Meine damalige Frau hat das Blatt weggenommen, hat sauber geputzt und das Blatt wieder hingelegt.
(Er lacht.)
Ich muss aufpassen! Wenn ich solche Geschichten erzähle, sagen Sie gleich wieder: »Ach ja – der Huby verbreitet wieder die alten Schwabenklischees.« Aber es war so!
Ist es denn nicht mehr so?
Das hat sich doch alles sehr verändert.
Was ist denn an Ihnen schwäbisch? Sie haben vorhin gesagt, Sie entsprechen in vielem nicht dem Klischee.
(Er überlegt.)
Das ist merkwürdig – das hat mich noch nie einer gefragt. Was ist an mir schwäbisch?
Sind Sie an Schaffer? 11
Ja – aber nur, weil ich von Natur aus faul bin.
(Beide lachen.)
Das stimmt! Aus Angst vor der Faulheit habe ich immer oheimlich viel g’schafft. Ich habe in der Schule ja nur Sachen gemacht, die mit Unterricht nichts zu tun hatten: Theater gespielt, Zeitung gemacht, Schülersprecher gewesen, Fußball gespielt – so was halt. Aber ich habe keine Hausaufgaben g’macht. Heute tut es mir natürlich leid, weil ich zum Beispiel schlecht Sprachen kann.
Während des Abiturs bin ich dann von der Schule geflogen – so bin ich zu meinem Beruf gekommen. Bei der Tageszeitung, wo ich meine Ausbildung gemacht habe, waren dann alle meine Mitvolontäre Akademiker. Und denen wollte ich beweisen, dass ich besser bin. Dieser Fleiß aus Angst vor Faulheit ist geblieben.
Denken Sie manchmal noch journalistisch?
Mein Interesse ist oft noch journalistisch. Aber als ich vom »Spiegel« weg bin, war ich unheimlich glücklich – weil ich jetzt fabulieren konnte, statt recherchieren zu müssen. Das empfand ich als Glück. Ich habe ziemlich erfolgreich recherchiert beim »Spiegel«. Auch vorher bei der Tageszeitung eigentlich schon. Aber es hat mich immer Überwindung gekostet.
Der Zwang, bei der Wahrheit bleiben zu müssen, anstatt fantasieren zu dürfen?
Nein. Das war eher eine Menschenscheu.
Die Schwaben sind in Berlin mittlerweile zum Hassobjekt geworden. Ist das Folklore oder muss man das ernst nehmen?
»Wir sind ein Volk. Und ihr seid ein anderes.« Das wird hier plakatiert.
(Beide lachen.)
Das richtet sich an die Leute, die am Kollwitzplatz …
… im Stadtteil Prenzlauer Berg …
… Häuser gekauft und renoviert haben.
Also nicht nur Folklore?
Ich habe gerade in diesen Tagen mit dem Thierse 12 darüber gesprochen. Der wohnt ja dort. Der hat das auch gesagt: Die sind gekommen und wollten eigentlich das Berliner Leben erleben. Dann waren sie aber sauer, wenn der Gehweg nicht gekehrt und der Hausflur nicht geputzt war.
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