Ultimo
könnte. Erfolglos. „Na gut“, murmelt er schließlich entnervt. „Dann schreib ich etwas über mich und verschiebe einfach die Perspektive.“
„ Wenn du dich nicht traust, alles hinter dir zu lassen und mit mir auf und davon zu gehen, findest du tausend Argumente, die besagen, es wäre ganz und gar falsch, alles hinter dir zu lassen und mit mir auf und davon zu gehen “, murmelt er, notierte das Gesagte und schließt den Text lapidar ab. „ Das beweist die Relativität von Beweisen .“
Müde leert er sein Glas. Dabei fallen ihm die Augen zu.
Kurz vor halb neun erwacht er zum zweiten Mal, versteckt seine Mappe im Schreibtisch, packt die notwendigsten Reiseutensilien in einen kleinen Koffer und parkt ihn im Flur. Danach schlendert er in die Küche, bereitet das Frühstück zu und weckt den Rest der Familie. Sie speisen schweigend, und als er Nina von seiner bevorstehenden Reise nach Salzburg erzählt, nickt sie bloß und faselt etwas von Kopfschmerzen. „Geh zum Arzt“, sagt er zerstreut und überlegt, ob er wohl alles eingepackt hat, was er in Salzburg braucht.
Sie verlassen die Wohnung gegen zehn. Zoff geht zu Fuß. Nina und Julia fahren ins Hallenbad und wollen den ganzen Tag dort verbringen.
Es wird eine Weile dauern, bis sie einander wieder sehen werden.
***
Die Frühschoppen beim Salzburger Lindenwirt zuItzlingsind legendär.
Jeden Sonntag ab zehnUhr ist das Wirtshaus in der Elisabeth Vorstadt zum Bersten voll. Der Oberbürgermeister und seine Vasallen haltenhier Hof, immer am riesigen Stammtisch gegenüber der Theke, direkt vor zwei großen Fenstern.
Statt Paul Freiherthront heute die First Lady an der Seite Rieders, den sie hier alle insgeheim bloß den Kaiser von Salzburg nennen. Mit ihren wilden roten Locken, dem gut geschnittenen weißen Kleid und ihrer wunderbaren Figur zieht sie die Blicke der Männer auf sich. Trotz ihrer 43 Jahre. Das erregt sie, auch wenn ihr das Gequassel der Gäste und der Zigarettenqualm tierisch auf die Nerven gehen.
„Schön ist es mit dir. Wir sollten wieder öfter miteinander ausgehen“, raunt die feinsinnige Kunst- und Pferdeliebhaberin ihrem Mann zu. „Ich liebe es, mit dir im Mittelpunkt zu stehen.“
„Na, dann begleite mich doch öfter. Nichts wäre mir lieber, als das“, behauptetRieder in Jeans und Trachtenjanker, fährt sich mit den gespreizten Fingern durchs Haar, nimmt den Bierkrug und prostetseinem Publikum zu. „Die letzten Tage waren schwer“, sagt er.„Da tut es gut, unter Freunden zu sein. Gesundheit!“
Ohrenbetäubendes Gejohle. Alle trinken.
„Die Sache mit Paul geht mir nicht aus dem Kopf“, meint Alexander Grein und schüttelt seine schwarzen Locken.„Paul war ein Pfundskerl. Ein gewiefter Politiker, hervorragender Manager und guter Freund. Er wird uns fehlen. Trinken wir auf Paul. Es soll ihm gut gehen, dort, wo er jetzt ist.“ Alle erheben sich. Auch Rieder.
„Du bringst die Dinge fast schon so genauauf den Punkt, wie er es immer getan hat“, lobtder Parteichef seinen Pressereferenten. „Ich trinke auf Paul Freiher, den wir alle nie vergessen werden.“
„Prost“, grölt das Publikum. „Prost!“
„Ach Hannes“, seufzt die elegante Stella, nachdemihr Gemahl wieder Platz genommen hat. „Sieh dir bloß die Leute an. Wie sie an deinen Lippen hängen. Die gehen durchs Feuer für dich. Alle.“
Rieder nickt.„Ja, das sind Stammwähler. Die Treuesten der Treuen. Auf die kann ich mich verlassen, wenn wir wieder wählen.“
„Es geht baldwieder los?“, fragtStella mit glänzenden Augen.
„Sieht ganz danach aus.“
„Du bist so unheimlich clever, mein Schatz“, lächelt Stella stolz und nuckelt an ihrem Rotwein. „Wie machst du das bloß?“
„Ich habe eben so meine Talente“, erwidert der Parteichef in aller Bescheidenheit und zieht die Augenbrauen hoch. „Unter anderem kann ich mit Menschen umgehen. Keine Ahnung, wieso. Wenn ich es wüsste, schriebe ich ein Buch darüber. Einen Bestseller.“
„Und wenn der Kanzler im letzten Moment doch noch klein beigibt?“
„Dann geht die Sache eben ein paar Monate länger, und ich ziehe ihm so lange die Daumenschrauben an, bis es nicht mehr geht.“
„Ekelt dir denn nicht vor den Sozialisten?“
„Und wie, aber Widerwillen kann man sich in der Politik nicht leisten, meine Liebe. Die Rotenlassen die Hosen runter, wenn ich ihnen das Kanzleramt offeriere. Dafür opfern die alles. Ich reiße mir alle wichtigen Ministerien unter den Nagel, werde Vizekanzler und
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