Ulysses Moore – Das Labyrinth der Schatten
Selbst von starken Beschädigungen erholen sie sich rasch und wachsen bald wieder nach. Über die Früchte ist nichts bekannt. Die Rinde wurde von Herstellern magischer Objekte gerne für die Produktion von Gegenständen verwen det, die zur Kommunikation über große Entfernungen hin weg dienten. Siehe auch unter: Verlierbehälter; Fensterbücher; Wandelspiegel; Weltwechseltüren.
»Weltwechseltüren.«
»Interessant«, murmelte Nestor. Warum hatte er diesen Eintrag bloß vorher nie gelesen?
Er musste daran denken, wie sich Penelope oft darüber beklagte hatte, dass es unmöglich sei, den Inhalt der vielen Tausenden von Büchern zu kennen, die er im Laufe der Jahre zusammengetragen hatte. Und die er meist nur durchgeblättert hatte, weil ihm die Zeit gefehlt hatte, sie richtig zu lesen.
Er ging zu Julia und Tommaso hinüber, um ihnen von seiner neuen Entdeckung zu berichten, doch als er sie ansprach, drehten sie sich nicht einmal um. Sie waren immer noch in die Fotos vertieft, die vor ihnen auf dem Tisch lagen, und machten sehr besorgte Gesichter.
»Was ist los?«, fragte er. Dann erst sah er, dass sie Moreaus Notizbuch aufgeschlagen hatten. Und dass sie es offenbar gerade benutzten, denn Julias Finger lagen auf der stilisierten Zeichnung eines Mädchens, das einen Schlüssel in der Hand hielt.
»Das sind Anita und Jason«, flüsterte Julia ehrfürchtig.
»Das ist ja fantastisch!«, jubelte Nestor. »Ist es euch gelungen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen?«
»Ja«, antwortete Tommaso, der allerdings alles andere als glücklich wirkte.
Doch der alte Gärtner war allzu sehr an den drei jungen Traumreisenden interessiert, als dass ihm Tommasos gedrückte Stimmung aufgefallen wäre. »Und wo sind sie? Wie geht es ihnen?«
»Anscheinend ganz gut, aber …«
»Und Rick? Warum ist er nicht bei ihnen?«
Sie beschrieben ihm rasch die Lage. Dann aber fügte Julia hinzu: »Es gibt Probleme. Große Probleme.«
Nestor zog einen Stuhl heran und setzte sich. Er ahnte schon, dass die Ursprünge der Türen zur Zeit im Augenblick nicht so wichtig waren, und legte deshalb Tommasos Foto als Lesezeichen in das Herbarium der niemals ge pflanzten Gewächse ein, um die Seite zu markieren, auf der es um den Windwurzelbaum ging. Dann legte er das dicke Buch beiseite und sah die beiden ernst an. »Also, schießt los. Ich höre zu.«
So erfuhr er von der Ankunft von Jason, Rick und Anita in Arcadia und von ihrer Begegnung mit der in Moreaus Notizbuch porträtierten Frau, der letzten Bewohnerin des Sterbenden Dorfes. Und auch von der Entdeckung der unvollständigen Elfenbeintür, von ihrer Verzierung, die aus zehn miteinander verbundenen Kreisen bestand, und von dem Riesen Zephir, dem Jason und später auch Anita über die Schwelle dieser Tür gefolgt waren.
»Wie es aussieht, können sie nicht mehr durch diese Tür zurückkehren. Das liegt vielleicht daran, dass sie niemals fertiggestellt wurde und deshalb nicht richtig funktioniert«, fasste Julia zusammen.
»Warum in aller Welt sind sie dann überhaupt hindurchgegangen?«, schimpfte Nestor und gab sich die Antwort auf seine Frage gleich darauf selbst: »Jason.«
Besorgt sah Julia ihn an und nickte.
Nestor stützte die Ellbogen auf die Tischplatte auf und hielt sich mit beiden Händen den Kopf. »Immer dasselbe mit ihm. Der wird nie erwachsen werden. Immer kopfüber in die nächste Katastrophe hinein!« Er überlegte. »Und was jetzt? Müssen wir nun auch dorthin und eine Tür bauen, damit sie wieder rauskommen?«
»Das wäre eine Möglichkeit«, meinte Julia.
»In diesem Fall habe ich vielleicht etwas gefunden, was uns dabei helfen könnte«, sagte Nestor und zeigte auf das Handbuch, das er vorhin geholt hatte. »Es gibt Zwillingsbäume, die ganz besondere Wurzeln besitzen, aber …«
»Aber die Illustration ist nicht besonders hilfreich. Wenn man nach ihr geht, könnte es jeder beliebige Baum hier bei uns im Garten sein.«
Wütend schlug Julia mit einer Hand auf den Tisch. »Kann man denn noch blöder sein als mein Bruder? Wie kann er nur auf die Idee kommen, durch eine unvollständige Tür zur Zeit zu gehen?«
»Wenigstens ist Anita bei ihm«, sagte Nestor, der versuchte, sich die Situation bildlich vorzustellen.
»Die wird ihm auch keine große Hilfe sein!«, ereiferte sich Julia. Gleich darauf wurde ihr klar, was sie gesagt hatte, und sie entschuldigte sich. »Tut mir leid, ich habe nichts gegen Anita, aber es wäre mir lieber gewesen, wenn Rick bei ihm
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