Ulysses Moore – Die Häfen des Schreckens
der Tür getreten war und die Gasse hinauf- und hinuntergeschaut hatte.
Marius Voynich feuerte mit seinem Schirm in der Werkstatt eine letzte Stichflamme ab und folgte ihm dann nach draußen.
Die Affen waren eingedrungen und hatten sie ins letzte Zimmer zurückgedrängt. Doch als sie dort den ausgestopften Drachen sahen, waren sie entsetzt geflohen. Jason und Mr Voynich hatten auf diese Weise kostbare Minuten gewonnen, in denen sie den Hinterausgang aufgeschlossen hatten. Nun waren sie zu dem kleinen Platz unterwegs, an dem Kalypsos Buchladen lag. Von dort aus wollten sie zur Schule oder zur Kirche laufen. Sie mussten einen weiten Bogen um die Affen machen, die durch die Straßen des Zentrums patrouillierten.
An der nächsten Ecke blieben sie wieder stehen und spähten in beide Richtungen.
»Wohin?«, fragte Voynich. Die Spitze seines Flammenwerferschirms rauchte noch, ebenso wie der Doppellauf der Flinte, die Jason geschultert hatte.
»Hier entlang«, beschloss Jason und lief unter dem prasselnden Regen los.
Sie sprangen über einige Pfützen und schauten sich ständig um. In Kilmore Cove sah es mittlerweile aus wie in einem Katastrophenfilm: Die Straßen waren menschenleer, die Fenster und Türen verrammelt und wilde Kreaturen aus dem Urwald machten Jagd auf die Bewohner.
»Ich hatte schon Angst, das Gewehr würde mir in den Händen explodieren«, sagte Jason, als er an eine Hauswand gelehnt eine Verschnaufpause einlegte.
»Hast du denn noch nie vorher geschossen?«
»Das ist nichts, was man normalerweise so macht.«
»Man ist ja normalerweise auch nicht auf der Flucht vor einem Rudel tobsüchtiger Affen«, erwiderte Voynich auf seine lakonische Art.
Unter einem Vordach fanden sie Schutz vor dem Wolkenbruch.
»Und die anderen?«, fragte der Chef der Brandstifter, während er versuchte, im dichten Regen irgendetwas zu erkennen.
»Welche anderen, Mister Voynich? Abgesehen von uns ist in Kilmore Cove nur noch Black. Ich habe ihn vorhin getroffen. Er will zum Leuchtturm und dort über Funk Hilfe holen … Was haben Ihnen denn Ihre Leute gesagt, vorhin am Telefon?«
Marius Voynich sah auf die Uhr. »Sie kommen, aber es wird eine Weile dauern. Wir müssen noch drei Stunden durchhalten, bis wir mit ihnen rechnen können.«
»Das ist ziemlich lange.«
»Hauptsache, sie kommen«, meinte Voynich. Dann lachte er leise. »Sonst können sie ihre Gehälter für die kommenden Monate vergessen.«
Im nächsten Augenblick hörten sie ein Krachen. Es musste ganz in der Nähe sein. Auf den Aufprall folgten Schreie. Dann war wieder alles still.
Die beiden rannten weiter.
Julia kehrte um. Ihr Herz klopfte wie wild in ihrer Brust und sie hätte ihren Bruder am liebsten erwürgt. Sie lief wieder auf den St. Jacob’s Square und bog von dort in die Gasse ein, in die ihr Bruder vorhin verschwunden war. Die schmalen Straßen des alten Stadtkerns von Kilmore Cove waren ihr schon immer vollkommen gleich vorgekommen, und obwohl es nur ein knappes Dutzend von ihnen gab, verirrte sie sich jedes Mal darin.
Wohin denn jetzt?, fragte sie sich und sah sich um. Unter einem Vordach suchte sie Schutz vor dem Regen. Ihr Bruder war weggelaufen, weil er etwas Komisches gesehen hatte, überlegte sie. Die Dame aus dem Blumenladen hatte Schüsse gehört. Vielleicht bestand zwischen beidem eine Verbindung …
»JASON!«, rief sie, weil ihr kein besserer Plan einfiel. »JASON! WO BIST DU?«
Doch alles, was sie hörte, war nur das Rauschen des Regens und das Gurgeln des Wassers in den Dachtraufen.
Sie rief ein weiteres Mal nach ihrem Bruder. Dann suchte sie die Gasse nach Spuren ab. Vor einer eingeschlagenen weißen Tür blieb sie stehen.
»Jason?«, rief sie in den Raum dahinter. Sie ging hinein. Es war dunkel. Neben dem Türrahmen fand sie einen Schalter. Sie machte das Licht an …
Es war nicht zu übersehen, dass hier vor Kurzem ein Kampf stattgefunden hatte. In dem Zimmer herrschte Chaos. Schränke waren aufgerissen, Behälter umgestoßen worden. Auf dem Fußboden lagen zerbrochene Bilderrahmen und Glaskästen, ausgestopfte Tierköpfe und tote Insekten herum. Von einem schwarzen Telefon hing der Hörer herunter. Julia ging hin und legte ihn auf.
»Jason?«, sagte sie leise, um sich Mut zu machen. »Bist du hier?«
An der Wand entlang ging sie ein paar Schritte weiter inden Raum hinein. Vorbei an einem ausgestopften Affen gelangte sie in ein zweites Zimmer und sah hinter einer halb offen stehenden Tür ein großes präpariertes
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