Ulysses Moore – Die Häfen des Schreckens
Reisen wieder beginnen zu lassen. Doch Kalypso blieb jetzt nicht mehr die Zeit, all diese Informationen an Leonard weiterzugeben. Es war zu spät dafür!
Wieder spannte Leonard seine Muskeln so fest an, dass er das Gefühl bekam, sie würden gleich reißen. Der Mann mit der Affenmaske hatte inzwischen den Galgen erreicht und stand direkt vor ihnen.
»Sie ist es, verstehst du?«, fragte Kalypso.
»WER, SIE?«, schrie Leonard, der mit aller Macht versuchte, seine Fesseln zu lösen.
»DIE LETZTE ERBAUERIN DER TÜREN!«, schrie Kalypso zurück.
Der Affenpriester hob einen Arm und schwenkte ihn. Auf dieses Zeichen hin verstummten die Trommler und die Affen. Plötzlich senkte sich eine unwirkliche Stille über das Dorf.
Erschöpft starrte Leonard den Mann an.
Dieser nahm die Maske ab und entblößte sein Gesicht.
Er sah sie beide lange an. Erst Kalypso, dann Leonard.
»Leonard Minaxo?«, flüsterte er leise. »Kalypso? Seid ihr das wirklich?«
Verblüffung war ein viel zu nichtssagendes Wort für das, was Kalypso und Leonard gerade empfanden.
»Direktor … Marriet?«, stammelten sie, als sie ihn wiedererkannten.
Kapitel 20
Der Tierfreund
»Was macht der Affe?«, fragte Tommaso Ranieri Strambi den alten Zafon, der ein paar Schritte hinter ihm in einer gebeugten Haltung ging, weil sein riesiger Rucksack so schwer war.
»Er folgt uns«, erwiderte der alte Mann kurzatmig.
Ohne stehen zu bleiben, warf sich Tommaso den Sack mit den Waren, die der alte Kaufmann unbedingt hatte mitnehmen wollen, über die andere Schulter. »Warum tut er das?«
»Weil du ihm offenbar gefällst, Junge.«
Sie gingen einige Hundert Meter weiter, gut getarnt von der Menge, die um diese Zeit in den Gassen Venedigs unterwegs war. Vorsichtshalber hatte Zafon eine Route gewählt, die sie durch die abgelegeneren Teile der Stadt führte. Er hoffte, dass sie auf diese Weise vermeiden konnten, Graf Ceneres Geheimpolizisten zu begegnen.
Der junge Puma drehte sich ab und zu um und fauchte die Katzen an, die Zafon unbedingt hatte mitnehmen wollen. »Ganz ruhig bleiben, Flohbeutel«, flüsterte Tommaso ihm zu. »Das sind doch nur kleine Miezekatzen.«
»Wie weit ist es denn noch?«, fragte der alte Mann nach einer Weile. »Ich glaube, ich kann bald nicht mehr.«
»Ich hatte Ihnen doch gesagt, Sie sollen nicht so viel mitnehmen«, stichelte der Junge.
»Das sind die Früchte jahrelanger Arbeit«, entgegnete Zafon. »Wie hätte ich sie zurücklassen können!«
Tommaso zögerte, ihm zu antworten, dass es in Kilmore Cove keine Verwendung für das Pergament, die verschiedenen Tinten und all den anderen Plunder geben würde. Aber wie konnte er ihm erklären, dass man in der modernen Welt zum Schreiben nicht mehr Pergament und Federhalter, sondern elektronische Maschinen benutzte?
Sie legten eine Pause ein, damit sich der alte Mann ein wenig ausruhen konnte. Tommaso schaute zu den Dächern hinauf und sah kurz den Affen, der ihnen folgte. Zafon hatte erzählt, das Tier habe tagelang seinen Laden bewacht. Wohl zum hundertsten Mal fragte er sich, welche Rolle eigentlich die Affen in dieser Geschichte spielten. Affen hatten ihm im Venedig der Gegenwart geholfen, einem Verfolger zu entkommen. Es hieß, Morice Moreau habe vor seinem Tod in seinem Haus in Venedig mit einem Affen zusammengewohnt. Und jetzt, im Venedig des Jahres 1751, gab es einen Affen, der ihnen überallhin folgte.
»Wir sind bald da«, sagte er zu Zafon, als sie weitergingen. »Nur wir sollten uns ein bisschen beeilen, bevor wir der halben Stadt aufgefallen sind.«
»Aber das hier ist Venedig, Junge!«, rief der alte Mann unter seiner schweren Last. »Hier gibt es keine unauffälligen Leute!«
Sie erreichten ohne Zwischenfälle die Calle dell’Amor degli Amici. Als Tommaso diese abgelegene, ihm inzwischen aber vertraute Ecke von Venedig wiedersah, hatte er das Gefühl, nach Hause zu kommen. »Hier entlang!«, sagte er zu Zafon und ging vor.
Ein Geräusch ließ ihn wie angewurzelt stehen bleiben. Sofort dachte er an den Grafen Cenere, der einen Hinterhalt geplant haben könnte, um sie zu fangen. Doch ebenso wie bei seinem letzten Besuch hier war weit und breit keine Menschenseele zu sehen.
Als sie am hinteren Ende der Gasse angelangt waren, öffnete Tommaso eine kleine Tür zu ihrer Linken. Dahinter lag ein finsterer Raum. Alte, übereinandergestapelte Möbel verbargen die Tür zur Zeit in der hinteren Wand.
»Hier ist sie«, erklärte Tommaso Zafon und zeigte auf den
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