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Ulysses Moore – Die Häfen des Schreckens

Ulysses Moore – Die Häfen des Schreckens

Titel: Ulysses Moore – Die Häfen des Schreckens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierdomenico Baccalario
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ein.
    »Glaubst du, das versuche ich nicht gerade?«, schimpfte Leonard. Er spannte und entspannte abwechselnd seine kräftigen Muskeln, in der Hoffnung, dadurch seine Fesseln zu lockern. Sein Kiefer verkrampfte sich, und seine Zähne knirschten, als würden sie gleich brechen. Doch trotz seiner beträchtlichen Kraft gaben seine Fesseln nicht nach, und es gelang ihm auch nicht, den Pfosten, an den er angebunden war, aus dem Boden zu reißen.
    Wie auf ein Kommando drehten sich alle Affen unvermittelt zu dem gemauerten Haus um. Die Tür ging auf und ein Mann mit heller, sonnenverbrannter Haut trat hinaus. Sein Körper wirkte dünn und kränklich, das Gesicht war hinter einer riesigen Affenmaske versteckt. Der aufgemalte Mund der Maske war zu einem teuflischen Grinsen verzogen, und die Bastmähne, die die Maske umrahmte, hing dem Mann bis auf die Schultern herab.
    Durch die versammelten Affen ging ein Zittern, das in ein immer lauter werdendes Raunen umschlug. Dem Mann mit der Maske folgten Trommler.
    »Leonard, wer ist das denn?«
    »Woher soll ich das wissen? Keine Ahnung! Sieht aus, als wäre er ihr König oder ein Medizinmann.«
    »Was hat er vor?«
    Der Mann mit der Maske näherte sich dem Galgen. Das Gekreische der Affen klang immer aufgeregter.
    »Leonard!«
    Die düsteren Rhythmen der Trommeln erinnerten Kalypso an einen Trauermarsch.
    »Ich glaube, es ist ziemlich klar, was er vorhat«, sagte Leonard. »Er kommt auf uns zu!«
    Sein Blick wanderte von den Affen und den Trommlern zu den schwarzen Augenlöchern der Maske. Wieder spannte er die Muskeln an, in der verzweifelten Hoffnung, doch noch freizukommen.
    »Leonard! Da ist etwas, was ich dir sagen will.«
    Der maskierte Mann, der vielleicht so etwas wie ein Priester der Affen war, hob beide Hände und blieb stehen. Dann drehte er sich zu den Affen um und begann, sie aufzuhetzen.
    »Ich liebe dich auch!«, rief Leonard, als der Maskenmann wieder auf ihn und Kalypso zuging.
    »Das war nicht das, was ich dir sagen wollte, Leonard!«
    »Nein?«
    »Nein!«, rief Kalypso verzweifelt. »Es ist etwas, das ich dir zuvor noch nie gesagt habe.«
    »Glaubst du wirklich, dass es einen Unterschied macht, wenn du es mir jetzt sagst?«
    Die Rhythmen der Trommeln wurden schneller.
    »Mein Großvater …«, setzte Kalypso an.
    »Was für ein Großvater?« Leonard versuchte, seine rechte Hand aus den Fesseln herauszuwinden, indem er sie zur Faust ballte und dann hin- und herdrehte.
    »Morice Moreau! Es stimmt nicht, dass er allein nach Kilmore Cove kam. Er hatte eine Frau dabei. Er wollte sie dort verstecken.«
    »Super! Toll!«
    »Hör mir doch zu! Sie hieß Circe. Ich habe sie nicht gekannt, denn sie sind beide vor meiner Geburt gestorben.«
    »Ist deine Geschichte lang? Denn falls du es nicht gemerkt hast: Uns bleibt nicht mehr viel Zeit …«
    »Sie waren sehr eng mit der Familie Moore befreundet. Und die Moores überredeten sie, sich in Kilmore Cove niederzulassen. Als die Großmutter starb, ging mein Großvater Morice von Kilmore Cove weg und zog nach Venedig. Und erlebte dort ein schlimmes Ende!«
    »Das tut mir leid, mein Schatz. Aber das ist doch vor mindestens einem halben Jahrhundert passiert.«
    »Darum geht es nicht, Leonard. Es geht darum, dass ich lange nichts davon gewusst hatte. Eines Tages erzählte es mir die Lehrerin Stella Evans.«
    Die Rhythmen der Trommeln wurden immer eindringlicher.
    Und ebenso Kalypsos Stimme. »Sie war es auch, die mir erklärte, wie mit der Post umzugehen sei. Mit der normalen Post und der imaginären.«
    »Was hat das denn alles mit der Post zu tun?«
    »Aber genau das ist es, was ich dir eigentlich sagen will, Leonard! Es war die Lehrerin, die eines Tages dieses Päckchen erhielt.«
    »Kalypso, um Himmels willen! Von welchem Päckchen redest du denn da?«
    »Von dem Päckchen mit den Schlüsseln! Sie gab es im Postamt ab, und kurz darauf kamen die Kinder, um es abzuholen.«
    Kalypso versuchte Leonard gerade zu erklären, dass die alte Lehrerin Stella Evans sehr gut über das Bescheid wusste, was in Kilmore Cove geschah, und dass es oft sogar sie selbst war, die diese Geschehnisse in die Wege leitete. Kalypso wollte ihrem Mann begreiflich machen, dass es die so harmlos aussehende alte Dame gewesen war, die die Schlüssel der Tür zur Zeit der Villa Argo wieder in Umlauf gebracht hatte. Die sie aus dem Versteck geholt hatte, in dem die Freunde des Großen Sommers sie verwahrt hatten. Stella Evans war es, die beschlossen hatte, die

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