Ulysses Moore – Die Häfen des Schreckens
wenn sie beim Aufwachen entdeckten, dass ihre Tochter schon wieder ausgerissen war und nur eine kurze Notiz hinterlassen hatte: »Fahre nach Kilmore Cove zu unseren Freunden. Wartet nicht mit dem Mittagessen auf mich. Kuss.« Und sie stellte sich die Diskussionen vor, in die sich ihre Eltern hineinsteigern würden.
»Vorausschickend«, begann Pirès seufzend, »möchte ich klarstellen, dass ich Doktor Voynichs Archiv nur mithilfe der Ersatzschlüssel für unsere Büros betreten konnte. Ich möchte Sie bitten, dass Sie dafür die Verantwortung übernehmen, da Sie mich beauftragt hatten, Informationen auf jede mir mögliche Weise zu beschaffen …«
»Ja, machen wir!«, rief der Lockenkopf aus. »Wenn Doktor Voynich dagegen etwas einzuwenden hat, übernimmst dafür nicht du die Verantwortung, sondern … mein Kollege hier am Steuer.«
»Wieso das denn?«, empörte sich der blonde Schere-Bruder und fuhr sofort langsamer.
Der Lockenkopf warf einen besorgten Blick durch das Rückfenster. »Pass mal ein bisschen auf, dass uns keiner drauffährt, ja?«
»Meine Herren«, schaltete Pirès sich ein. »Ich möchte Sie wirklich bitten, diese Angelegenheit etwas ernster zu nehmen. Mir geht es in erster Linie um meine Berufsehre.«
»Aber sicher, Pirès! Was können wir tun, um dich von unserer Ernsthaftigkeit zu überzeugen? Sollen wir eine Vollmacht unterschreiben?«
»Ja, genau.« Der gewissenhafte Butler zog ein zweimal gefaltetes Blatt Papier aus der Jackentasche und hielt es dem Lockenkopf unter die Nase. »Es reicht eine Unterschrift hier unten«, sagte er. Und bevor der andere etwas darauf erwidern konnte, reichte er ihm einen Füllfederhalter.
Der Lockenkopf fühlte sich überrumpelt und war einen Augenblick lang unentschlossen. Dann kritzelte er seine Unterschrift hin, ohne zu lesen, was auf dem Blatt stand. Der Blonde kicherte und Pirès steckte Vollmacht und Füller wieder ein.
»Nun denn«, begann er. »Ich möchte die Fakten, die ich in meiner Eigenschaft als Augen- und vor allem Ohrenzeuge der Geschehnisse im Klub sammeln konnte, wie folgt zusammenfassen. Ich muss jedoch darauf hinweisen, dass sich in dem, was ich mitgehört und mit angesehen habe, das Wirkliche mit dem Erfundenen und Erträumten vermischt haben mag. Im September des Jahres 18** stellte sich eine junge Dame mit dem Nachnamen Briggs im Klub der Traumreisenden vor. Sie ließ sich damals noch nicht Circe nennen, wie es später innerhalb des Klubs üblich wurde, sondern verwendete ihren Taufnamen Sophia.«
»Sophia?«, fragte Anita neugierig nach.
»Genau. Und diesbezüglich habe ich in der Bibliothek eine kleine Recherche durchgeführt. Mithilfe der gewonnenen Informationen und nach einer kurzen Lektüre einiger Artikel der Encyclopaedia Britannica konnte ich mich vergewissern, dass eine gewisse ›Sophia Briggs‹ damals im Mittelpunkt etlicher Zeitungsberichte stand.«
»Ach, und weshalb?« Der Blonde drehte sich interessiert auf seinem Beifahrersitz zu Pirès um.
»Ungefähr zwanzig Jahre vor dem Beginn der Ereignisse, von denen ich nachher erzählen möchte, wurde die Brigantine Mary Celeste ohne Besatzung aufgefunden. Niemand weiß, was geschah oder wer das Schiff überfallen hatte. Einer der letzten Logbucheinträge, um genauer zu sein: der vom 7. November 1872, enthält eine Liste von zehn an Bord befindlichen Personen. Unter ihnen waren der Kapitän Benjamin Briggs, dessen Ehefrau Sarah und die Tochter des Paares, die zweijährige Sophia.«
»Wow!«, rief Anita aus. »Dieselbe Sophia, die später dem Klub der Traumreisenden beitreten wollte?«
»Das habe ich ebenfalls angenommen«, erwiderte Pirès. »Ich muss jedoch hinzufügen, dass sie dem Klub nicht sofort beitrat. Die Aufnahme erfolgte erst einige Zeit später. Miss Briggs besaß nämlich keinerlei Erfahrung mit Traumreisen. Oder so schien es zumindest …«
»Einen Augenblick …«, unterbrach Anita ihn. Aus ihrem Rucksack holte sie den elften Band der Reihe Die Aben teuer des Kapitän Spencer hervor, den sie ebenfalls im Keller des Klubhauses gefunden hatte. »Was ist denn aus Sophia Briggs … aus der Erfolgsautorin Circe De Briggs geworden?«
Pirès zuckte dezent mit den Schultern. »Ich kann nur annehmen, dass daran ein ebenso junger Illustrator schuld war, der in dieser Zeit ebenfalls Gast im Salon der Traumreisenden war.«
»Morice Moreau?«, riet Anita. So hieß auch der Illustrator des Abenteuerromans von Circe De Briggs.
»Genau. Ich habe nachgesehen, und es
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