Ulysses Moore – Die Stadt im Eis
ich dich gefunden habe. Und dir eine neue Schneemuschel geben, für den Fall, dass du uns ein anderes Mal besuchen willst.«
In diesem Augenblick hatte Jason eine Idee. »Dürfte ich mir Notizen machen?«, fragte er.
»Was meinst du?«
»Darf ich mir die Antworten aufschreiben?«
Der Weise schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, nein, junger Freund. Du wirst beim Betreten und Verlassen der Stadt durchsucht. Und du kannst nichts mit hinausnehmen, das anders ist als das, was du in die Stadt mit hineingenommen hast.«
Jason biss auf seiner Unterlippe herum.
»Nicht einmal die allerkleinste Anmerkung?«
»Nein, Jason. Die Antworten sind nur für dich.«
Nur für mich, überlegte Jason.
Es sah wirklich so aus, als gäbe es kein Schlupfloch.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, hatte er die anderen im Stich gelassen. Er war hierhergekommen, um etwas herauszufinden. Um die Antworten auf all seine Fragen zu erfahren.
Er sah seinen geheimnisvollen Begleiter an. Er wirkte ruhig und vertrauenerweckend.
Die Antworten sind nur für mich und ich werde sie vergessen.
Jason Covenant, der Egoist.
Er bekam einen Lachanfall.
»Warum lachst du?«, fragte der Weise.
»Weil ich gerade an etwas gedacht habe. Ich darf aus der Stadt nicht mehr und nicht weniger heraustragen, als ich im Augenblick besitze. Ist das richtig?«
»Ja genau.«
»Und wenn ich jene silberne Linie überschreite, werde ich viel über mich selbst vergessen. Wie viel genau?«
»Einiges. Vielleicht alles. Das hängt davon ab, was dir wirklich wichtig ist.«
Jason schien lange darüber nachzudenken, was ihm wirklich wichtig war. Schließlich fragte er: »Kannst du mir etwas versprechen?«
»Das hängt davon ab, was es ist, Jason Covenant.«
»Wenn ich irgendwann, nachdem ich diese Linie überschritten habe, vergessen sollte, nach Hause zurückzukehren, zwingst du mich dann, darüber zu gehen?«
Der Weise nickte ernst. »Das kann ich tun.«
Daraufhin stieg Jason aus und ging, ohne stehen zu bleiben, einige Schritte, bis er die Linie der Weisheit hinter sich gelassen hatte.
Kapitel 26
Die Rettung naht
»Pssst«, flüsterte einer der Sträucher im Park der Villa Argo.
Verwundert sah der Lockenkopf sich um. Sein Bruder war damit beschäftigt, das Schloss von Nestors Haustür aufzubekommen, während Dr. Bowen nervös um ihn herumschlich.
Im nächsten Augenblick sprach der Strauch abermals mit ihm.
Er beschloss nachzusehen, wer sich dort befand. Als er den Strauch erreicht hatte, stellte er fest, dass jemand zwischen den Zweigen hockte. Zuerst dachte er, es sei einer der drei Lausebengel des Ortes, die vorhin mit ohrenbetäubendem Gebrüll aus dem Haus gerannt waren.
Gleich darauf stellte er fest, dass er sich geirrt hatte: In dem Busch steckte ein rothaariger Junge, der mit einem länglichen Gegenstand auf ihn zielte.
»Ach, Rick, du bist das!«, rief der Brandstifter aus, als er ihn wiedererkannte. »Was machst du denn hier? Und was ist das denn? Etwa ein Gewehr?«
»Ich könnte dir dieselbe Frage stellen«, flüsterte der Junge. »Und ja, es ist ein Gewehr. Ein Harpunengewehr. Und es ist geladen.«
»Bist du verrückt? Halt es nach unten! Du willst doch wohl nicht auf mich schießen?«
»Das hängt davon ab, was du vorhast.«
»Da kannst du ganz beruhigt sein. Ich werde keinen Alarm schlagen. Auf jeden Fall herrscht hier ein derartiges Durcheinander …«, gab der Lockenkopf zu.
»Das ist mir auch schon aufgefallen. Verrätst du mir, was hier los ist?«
Der Lockenkopf seufzte. »Unser Chef will von dem Doktor einige Informationen. Der will sie ihm geben, wenn wir ihm helfen, die Villa niederzubrennen. Zum Glück scheint unser Chef keine große Lust zu haben, es wirklich zu tun. Deshalb sollen wir die Aktion sabotieren.«
»Die Villa Argo niederbrennen? Aber das ist doch Wahnsinn! Und was wollt
ihr
machen?«
»Wir sabotieren alles«, erwiderte der Lockenkopf mit einem Schulterzucken.
»Kommt mir eigentlich nicht so vor«, meinte Rick und nickte zum Gärtnerhaus hinüber. Dem blonden Schere- Bruder und Bowen war es inzwischen gelungen, sich Zutritt zu verschaffen. Rick wurde übel bei der Vorstellung, dass ein Fremder zwischen Nestors Besitztümern und Geheimnissen herumwühlte. Wenn er doch nur ein bisschen größer, stärker und mutiger wäre, dachte der Junge. Dann wäre er direkt zu Bowen gegangen und hätte ihn mit einem Faustschlag niedergestreckt. Aber das konnte er nicht tun, allein schon aus dem Grund, weil Bowen besser bewaffnet
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