Ulysses Moore – Die steinernen Wächter
Ruderschlägen gelang es ihm, das Boot ins sichere offene Meer zu lenken. Allmählich zeichnete sich auf seinem Gesicht Panik ab.
»Verflixt noch mal!«, fluchte er und bewegte die Riemen, so schnell wie er nur konnte. Aber immer, wenn sie sich ein Stück weit von den Felsen entfernt hatten, trieb die Strömung sie rasch wieder auf deren scharfe Kanten zu.
»Rick! Wir krachen gleich dagegen!«
Die beiden Felsen waren inzwischen keine zehn Meter mehr vom Bug entfernt. Der rechte erhob sich hoch und stolz wie ein Kirchturm aus den Wellen. Oben auf seiner Spitze saß eine Möwe und beobachtete ihre Bemühungen mit mäßigem Interesse. Der andere Felsen war vom Meer abgeschliffen worden und ragte wie der Rücken einer Schildkröte aus dem Wasser. Rund um die beiden Steinbrocken gab es gefährliche Strudel.
Rick unternahm einen letzten Versuch, das Boot in Sicherheit zu bringen. Doch es war, als sei es durch Jasons Ruderversuche in eine Strömung geraten, die sie unerbittlich auf das Riff zutrieb.
»Wenn man nicht mehr dagegen ankämpfen kann ...«, wiederholte Rick einen Satz, den er nur zu oft von seinem Vater gehört hatte, »… dann muss man nachgeben.« Mit diesen Worten hielt er kurz inne und beschleunigte anschließend mit Ruderschlägen ihre Fahrt auf die Felsen zu. Mit zunehmender Geschwindigkeit raste das Boot dahin.
»Hilfe!«, schrie Julia, als der Bug sich aufbäumte.
Jason beschränkte sich darauf, den Mund aufzureißen.
Rick hob beide Riemen aus dem Wasser, zählte bis zehn, dann bis zwei und stieß nun den linken Riemen mit einem trockenen, kurzen Schlag ins Wasser.
Die Annabelle beschrieb eine Kurve auf das offene Meer zu und flitzte mit weniger als zwanzig Zentimetern Abstand an dem höheren Felsen vorbei. In diesem Augenblick tauchte Rick den rechten Riemen ins Wasser und wiederholte das Manöver. Eine Welle hob das Ruderboot über den niedrigen, abgeschliffenen Felsen.
Die drei spürten ein leichtes Reiben an der Unterseite des Bootes, dann hatten sie das Riff passiert.
Jetzt ruderte Rick so sicher und kraftvoll wie ein alter Seebär. Auf seiner Stirn perlte der Schweiß.
»Wow!«, murmelte Jason. »Das war knapp.«
»Ich hatte doch gesagt, dass ich rudern kann, oder?«, bemerkte Rick grinsend.
Julia bekam vor Erleichterung einen Lachanfall. »Auf dem Rückweg machen wir aber einen großen Bogen um die Stelle, okay?«
»Das ist gar nicht nötig. Es reicht, wenn du Jason dazu bringst, sitzen zu bleiben.«
»Sehr witzig«, entgegnete der und sah sich nach Kilmore Cove um, das jetzt immer näher kam.
Julia dagegen starrte auf die Felsbrocken mitten im Meer und die hohen Klippen. Sie erinnerte sich daran, wie sie Manfreds Sturz verschuldet hatte, und ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter.
Dann fiel ihr etwas auf, das unterhalb der Straße zwischen Gestrüpp und Fels zu hängen schien.
»Was kann das bloß sein?«, fragte sie, nachdem sie die anderen beiden darauf aufmerksam gemacht hatte.
Rick beschattete die Augen mit der Hand und ließ das Boot ein paar Meter näher an die Klippen treiben.
»Ich würde sagen, das ist ein Auto«, meinte er nach einer Weile.
»Das ist kein gewöhnliches Auto«, verbesserte Jason ihn. »Es ist ein Strandbuggy. Oder besser gesagt: Es war ein Strandbuggy.«
»Aber was macht ein Strandbuggy dort an den Klippen? «, fragte Julia.
»Keine Ahnung. Vielleicht hat jemand versucht ihn ins Meer zu werfen und er ist dort oben hängen geblieben.«
»Soll ich näher ran oder ...?«, fragte Rick und steuerte das Boot mit einem einzigen Riemen, um es in die richtige Richtung zu drehen.
»Nein. Im Grunde geht es uns nichts an. Wir wollen lieber nach Kilmore Cove, zum Bahnhof«, stellte Jason fest.
Knapp zehn Minuten später zogen sie das Boot auf den Strand. Unter Ricks Anleitung banden sie es an einem Eisenring fest und gingen zum Windy Inn hinauf.
Von dort aus überquerten sie den Platz mit dem Reiterdenkmal von König Wilhelm V. und folgten der Pembley Road bis zu einer Treppe.
Sie führte zu einem weitläufigen Platz hinauf, der von Unkraut überwuchert war und an dessen gegenüberliegender Seite der Bahnhof stand.
Es war ein großes zweistöckiges Gebäude mit einer Uhr über dem Eingang und zwei Reihen von Fenstern, die wohl seit Jahren nicht mehr geöffnet worden waren. Ein heftiger Wind wehte über den Platz und wirbelte altes Laub und abgebrochene Zweige umher.
»Willkommen an der Clark Beamish Station«, sagte Rick, während er die
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