Um Haaresbreite
Nachtsuche.«
Sandecker blickte ihn an. »Nachtsuche?«
»Ein alter Taucherausdruck für die Erforschung von dunklen Höhlen unter Wasser.«
Sandecker machte ein besorgtes Gesicht. »Seien Sie vorsichtig und bleiben Sie heil…«
»Halten Sie mir die Daumen, daß ich den Vertrag da unten finde.«
»Beide Daumen. Den anderen, falls Shaw vor Ihnen nach unten gelangt.«
»Ach ja«, sagte Pitt mit einem schiefen Lächeln. »Das ist immerhin möglich.«
Dann trat er in die Öffnung und verschwand in der Finsternis.
80
Der alte Fluchtweg des Steinbruchs verlief schräg in das Innere des Hügels. Die Wände waren zwei Meter hoch und wiesen noch die Narben der Spitzhacken auf. Die Luft war feucht, und es roch wie in einem Mausoleum. Nach etwa zwanzig Metern machte der Schacht eine Biegung, und das Licht von draußen war nicht mehr zu sehen.
Die Taucherlampen wurden angeknipst, und Pitt, gefolgt von Riley und drei Männern, ging weiter voran. Ihre Schritte hallten in der Finsternis.
Sie kamen an einem leeren Lorenwagen vorbei, dessen verrostete kleine Eisenräder auf den engen Schienen ruhten.
Hacken und Schaufeln standen ordentlich aneinandergereiht in einer ausgemeißelten Nische, als warteten sie darauf, daß schwielige Hände wieder nach ihnen griffen. Andere Gegenstände lagen herum: Eine zerbrochene Bergmannslampe, ein Vorschlaghammer und die vergilbten und verklebten Seiten eines Katalogs der Firma Montgomery Ward. Obenauf sah man die Reklame einer Klavierfabrik.
Schutt und Felsengeröll versperrte ihnen den Weg, und sie brauchten zwanzig Minuten, bis sie durchkamen. Alle blickten argwöhnisch auf die fauligen Stützbalken, die die ganze Last der Decke trugen. Während der Arbeit wurde kein Wort gesprochen.
Die unausgesprochene Angst, bei einem Einsturz des Ganges begraben zu werden, bedrängte sie. Endlich passierten sie die letzte Schranke und waren am Tunnel, in dem zentimetertief Wasser stand.
Als sie bis zu den Knien im Wasser wateten, blieb Pitt stehen.
»So kommen wir bald nicht mehr weiter«, sagte er. »Ich schlage vor, daß die Sicherungsmannschaft hier Station macht.«
Riley nickte. »Einverstanden.«
Die drei Taucher, die für den Notfall zurückbleiben sollten, begannen, die Preßluftreserven aufzustapeln und sie an ein aufgespultes, fluoreszierendes orangefarbenes Kabel anzuschließen. Die Strahlen ihrer Lampen tanzten wie Irrlichter an den Tunnelwänden, und ihre Stimmen klangen hohl und laut.
Pitt und Riley schlüpften aus ihren Stiefeln, zogen Schwimmflossen an, nahmen die Spule und drangen weiter vor.
Wie ein dünner Lichtstrahl lief hinter ihnen das Rettungskabel.
Bald stand ihnen das Wasser bis an die Hüften. Sie setzten sich die Gesichtsmasken auf und nahmen die Mundstücke der Atemschläuche zwischen die Zähne. Dann tauchten sie.
Unter der Oberfläche war es kalt und unheimlich. Doch die Sicht war erstaunlich gut, und Pitt verspürte eine fast abergläubische Furcht, als er einen kleinen Salamander erblickte, dessen Augen zu völliger Blindheit degeneriert waren.
Er wunderte sich, daß es in dieser gruftartigen Abgeschlossenheit überhaupt noch Leben gab.
Der Fluchtweg des Steinbruchs schien sich wie ein endloser Abgrund in die Tiefe zu erstrecken. Hier konnte man das Gruseln lernen, es war, als lauere die Macht eines bösen Fluchs in der Finsternis jenseits der Strahlen der Taucherlampen.
Nach zehn Minuten, wie Pitt mit einem Blick auf seine Taucheruhr feststellte, machten sie einen kurzen Halt. Der Tiefenmesser zeigte zweiunddreißig Meter an. Pitt warf Riley einen Blick zu, der auf seinen Druckmesser schaute und nickte.
Dann schwammen sie weiter.
Der Schacht erweiterte sich zu einer Höhle, deren Wände eine schmutzig goldene Farbe hatten. Sie waren endlich in der Galerie der Kalksteingrube. Der Boden wurde eben, und Pitt stellte fest, daß das Wasser bis auf achtzehn Meter angestiegen war. Er richtete den Strahl seiner Lampe nach oben und erblickte etwas, das wie eine Quecksilberschicht aussah. Pitt schoß hinauf – und tauchte in einer Luftblase unter der Decke einer großen, gewölbten Höhle auf. Ein Dutzend Stalaktiten hing wie Eiszapfen herab, ihre Spitzen berührten fast die Wasseroberfläche. Zu spät tauchte Pitt wieder unter, um Riley zu warnen.
Riley konnte wegen der Oberflächenspiegelung nichts erkennen und stieß mit der Gesichtsmaske gegen die Spitze eines Stalaktiten. Das Glas zersprang. Sein Nasenbein wurde eingedrückt, die Augenlider
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