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Um Haaresbreite

Um Haaresbreite

Titel: Um Haaresbreite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Cussler
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ihre Spaten und Schaufeln auf. Bald hörte man die Erdklumpen auf den hölzernen Sargdeckel fallen.
    »Ich liebte den Alten«, sagte Shaw wehmütig. »Es hat Zeiten gegeben, wo ich ihn am liebsten umgebracht hätte, und dann wieder welche, wo ich ihn wie einen Vater verehrte.«
    »Er hatte auch eine besondere Zuneigung zu dir«, sagte sie.
    »Er hat sich immer Sorgen gemacht, wenn du im Einsatz warst.
    Die anderen Agenten hat er eher wie Schachfiguren behandelt.«
    »Du kanntest ihn besser als jeder andere«, sagte er leise. »Für eine Frau, die zwanzig Jahre lang seine Sekretärin war, hat ein Mann keine Geheimnisse mehr.«
    Sie nickte. »Es ging ihm manchmal auf die Nerven. Denn oft durchschaute ich seine Gedanken…«
    Ihre Stimme versagte, und sie konnte das Grab nicht mehr ansehen. Shaw nahm ihren Arm und führte sie vom Friedhof.
    »Hast du Zeit für einen Drink?«
    Sie öffnete ihre Handtasche, nahm ein Papiertüchlein heraus und schneuzte sich. »Ich muß wirklich nach London zurück.«
    »Dann ist es also Lebewohl, Mrs. Huston.«
    »Brian.« Es schien ihr in der Kehle zu stecken, aber sie hielt sich zur ück und sprach seinen wahren Namen nicht aus. »Ich werde mich nie daran gewöhnen, an dich als Brian Shaw zu denken.«
    »Die Leute, die wir einmal waren, starben längst vor unserem alten Chef«, sagte Shaw tröstend.
    Sie drückte seine Hand, und ihre Augen waren feucht.
    »Schade, daß die Vergangenheit tot ist.«
    Bevor er antworten konnte, zog sie einen Umschlag aus ihrer Handtasche und steckte ihn ihm in die Manteltasche. Er sagte nichts, ließ sich nicht anmerken, daß er es gesehen hatte.
    »Adieu, Mr. Shaw«, sagte sie mit kaum vernehmlicher Stimme. »Paß gut auf dich auf.«
    Ein kalter Schneeregen ging an diesem Abend über London nieder, als der Dieselmotor eines schwarzen Austin-Taxis im Leerlauf vor einem Gebäude am Hyde-Park ratterte. Shaw bezahlte den Fahrer und stieg aus. Er stand eine Weile da, achtete nicht auf den Wind und die eisigen Tropfen, die ihm ins Gesicht peitschten, starrte auf den häßlichen Bau, in dem er einst gearbeitet hatte. Die Fenster waren schmutzig und verschmiert, die Mauern vom Ruß und Dreck eines halben Jahrhunderts überzogen. Shaw fand es seltsam, daß die Fassaden des Gebäudes nie wie so viele andere in der Stadt gesäubert worden waren.
    Er ging die Stufen empor und trat in die Halle ein. Ein Wachmann verlangte gleichgültig seinen Ausweis und suchte seinen Namen auf der Liste der eingetragenen Verabredungen.
    »Nehmen Sie bitte den Fahrstuhl bis zum zehnten Stock«, sagte der Wachmann. »Dort wird Sie jemand abholen.«
    Der Lift zitterte und ratterte wie immer, aber den Fahrstuhlführer hatte man durch ein Knopfbrett ersetzt. Shaw fuhr zuerst bis zum neunten Stock und ging den Korridor entlang. Er fand sein altes Büro, öffnete die Tür, erwartete, eine Sekretärin eifrig im Vorderraum tippen zu sehen und einen Mann am Schreibtisch im Hintergrund.
    Aber alles war leer, und nur ein paar verstaubte Papierfetzen lagen auf dem Boden herum.
    Er schüttelte traurig den Kopf. Wer hatte einmal gesagt, daß es keine Wiederkehr gibt?
    Jedenfalls war die Treppe noch da, wo sie sein sollte, wenn auch der Wachmann fehlte. Er ging zum zehnten Stock hinauf und trat auf ein blondes Mädchen in einem locker hängenden Strickkleid zu, das vor dem Fahrstuhl stand.
    »Ich glaube, Sie erwarten mich«, sagte er.
    Sie drehte sich überrascht um. »Mr. Shaw?«
    »Ja, entschuldigen Sie die Verspätung, aber da ich schon so lange nicht mehr hier war, habe ich mich ein bißchen umschauen wollen, um mich an die guten alten Zeiten zu erinnern.«
    Das Mädchen blickte ihn mit schlecht verhohlener Neugier an.
    »Der Herr General erwartet Sie. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
    Sie klopfte an die bekannte Tür und öffnete sie. »Mr. Shaw, Sir.«
    Außer dem neuen Schreibtisch und dem Mann, der sich hinter ihm erhob, war alles noch wie früher. Endlich fühlte er sich wieder zu Hause.
    »Mr. Shaw, kommen Sie herein.«
    Brigadegeneral Morris V. Simms streckte ihm eine kräftige und trockene Hand entgegen. Die pfauenblauen Augen wirkten freundlich, aber Shaw ließ sich nichts vormachen. Er fühlte, daß sie ihn computerhaft und kalt einer gründlichen Prüfung unterzogen. »Bitte nehmen Sie Platz.«
    Shaw setzte sich in einen großen Armstuhl, der so hart wie Marmor war. Eine ziemlich phantasielose Methode, stellte er fest, mit der der General bezweckte, seine Besucher durch ein Gefühl

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