Um Haaresbreite
Dreißig Jahre waren vergangen, seit er Los Angeles zum letzten Mal gesehen hatte.
So fuhr er einfach los, richtete sich nur nach den Straßenschildern, ohne zu wissen, wohin sie ihn führen würden.
Er warf ihr einen Seitenblick zu. Ihre Augen waren weit geöffnet und leuchteten in freudiger Erregung. Er fühlte ihre Hand auf seinem Arm.
»Fahren Sie lieber etwas langsamer«, rief sie ihm zu, »sonst bekommen Sie es noch mit der Polizei zu tun.«
Das konnte er nun wirklich nicht gebrauchen. Shaw verminderte den Druck auf das Gaspedal und fuhr im vorgeschriebenen Tempo. Er stellte das UKW-Radio ein, und ein Straußwalzer ertönte aus dem Lautsprecher. Er wollte den Sender wechseln, aber sie berührte seine Hand.
»Nein, lassen Sie es.« Sie lehnte sich in den Sitz zurück und blickte hinauf zu den Sternen.
»Wo fahren wir hin?«
»Ein alter schottischer Trick.« Er lachte. »Man muß eine Frau an einen möglichst entfernten Ort entführen… damit sie sich für einen interessiert, wenn sie nach Hause will.«
»Das zieht bei mir nicht.« Jetzt lachte auch sie. »Ich bin bereits dreitausend Meilen von zu Hause weg.«
»Und ohne Uniform.«
»Marinevorschrift: Weibliche Offiziere dürfen sich in Zivil kleiden, wenn sie bei gesellschaftlichen Anlässen erscheinen.«
»Ein dreifaches Hoch auf die American Navy.«
Sie blickte ihn nachdenklich an. »Ich habe noch nie einen Admiral gekannt, der einen Rolls-Royce fährt.«
Er lächelte. »S ie finden Dutzende alter britischer Seebären, die sich nie in einem anderen Wagen sehen lassen würden.«
»Ein dreifaches Hoch auf die britische Navy.«
»Aber ganz im Ernst, ich habe ein paar gute Geldanlagen gemacht, als ich ein Marinedepot in Ceylon kommandierte.«
»Was tun Sie eigentlich jetzt, da Sie im Ruhestand sind?«
»Ich schreibe meist. Geschichtliche Themen.
Nelson bei der Schlacht am Nil, Die Admiralität im Ersten Weltkrieg,
und derlei Dinge. Nicht gerade der Stoff, aus dem man Bestseller macht, aber es bringt ein gewisses Prestige ein.«
Sie blickte ihn seltsam an. »Das kann doch nicht wahr sein.«
»Wie bitte?«
»Sie schreiben tatsächlich über Marinegeschichte?«
»Natürlich«, sagte er mit Unschuldsmiene. »Warum sollte ich lügen?«
»Unglaublich«, sagte Heidi. »Ich nämlich auch, aber ich habe noch nichts veröffentlicht.«
»Das ist aber wirklich nicht zu glauben.« Shaw tat sein Bestes, überrascht auszusehen. Dann griff er nach ihrer Hand und drückte sie leicht. »Wann müssen Sie auf Ihrem Schiff zurück sein?«
Er fühlte, wie sie etwas erzitterte. »Das hat keine Eile.«
Er sah ein großes grünes Schild mit weißer Schrift, als sie vorüberfuhren. »Sind Sie schon einmal in Santa Barbara gewesen?«
»Nein«, sagte sie fast flüsternd. »Aber es soll sehr schön sein.«
Am Morgen war es Heidi, die das Frühstück beim Zimmerdienst bestellte. Als sie den Kaffee eingoß, fühlte sie eine wohlige Wärme in sich aufsteigen. Mit einem Mann ins Bett zu gehen, den sie erst ein paar Stunden zuvor kennengelernt hatte, war etwas ganz Neues und sehr Erregendes für sie. Ein ganz seltsames Gefühl.
Sie konnte sich mühelos an ihre bisherigen Männer erinnern, den schüchternen Seekadetten in Annapolis, ihren ehemaligen Mann, Admiral Walter Bass, Dirk Pitt, und jetzt Shaw… Sie sah sie alle klar vor sich, als wären sie zur Inspektion angetreten.
Nur fünf, kaum genug für eine Armee, nicht einmal eine kleine Gefechtseinheit.
Wie kommt es, fragte sie sich, daß eine Frau, je älter sie wird, um so stärker bedauert, nicht mit mehr Männern geschlafen zu haben? Sie begann, sich über sich selbst zu ärgern. In ihren jungen Jahren war sie zu vorsichtig gewesen, hatte Angst gehabt, zu unternehmungslustig zu erscheinen, hatte nicht vermocht, sich gehenzulassen und eine vorübergehende Liebesaffäre zu genießen.
Wie dumm von mir, sagte sie sich. Denn sie war sicher, im Liebesakt mehr körperliches Vergnügen zu empfinden als jeder Mann. Ihre Ekstase war etwas, das von innen in ihr aufstieg. Die Männer, die sie kannte, hatten es immer nur äußerlich empfunden. Sie schienen sich mehr auf ihre Phantasie zu verlassen und waren oft hinterher enttäuscht. Ihnen bedeutete Sex nicht mehr als ein Kinobesuch. Eine Frau verlangt viel mehr… zu viel.
»Du siehst heute früh sehr nachdenklich aus«, sagte Shaw. Er strich ihr Haar hoch und küßte sie in den Nacken. »Reuegefühle im kalten Licht der Morgendämmerung?«
»Eher ein Schwelgen in
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