Um Haaresbreite
auf die Pumpe.
»Macht genau zwanzig Dollar«, sagte er.
Pitt gab ihm das Geld. »Wie weit ist es noch bis nach Wacketshire?«
Er blickte Pitt argwöhnisch und forschend an. »Wacketshire? Das heißt seit Jahren nicht mehr so. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, existiert diese Stadt gar nicht mehr.«
»Eine Geisterstadt im Staate New York? Ich dachte, das gibt es nur in der Wüste im Südwesten des Landes.«
»Es ist kein Witz, Mister. Als die Eisenbahnlinie im Jahre neunundvierzig umgelegt wurde, hat Wacketshire den Geist aufgegeben. Die meisten Gebäude wurden niedergebrannt. Nur noch irgendein Bildhauer soll dort leben.«
»Ist von der alten Gleislagerung noch etwas übriggeblieben?«
fragte Pitt.
»Das meiste ist weg.« Der alte Mann machte ein trauriges Gesicht. »Verdammte Schande.«
Dann zuckte er die Schultern. »Wenigstens kommen die stinkenden Dieselloks hier nicht vorbei. Auf der alten Linie fuhr man noch mit Dampfantrieb.«
»Vielleicht kommt der Dampf einmal wieder.«
»Nicht in meinem Leben.« Der Tankwart betrachtete Pitt mit wachsender Aufmerksamkeit.
»Wie kommt es, daß Sie sich für eine aufgegebene Bahnstrecke interessieren?«
»Ich bin ein Eisenbahnnarr«, log Pitt ohne zu zögern. »Ich interessiere mich besonders für die klassischen Bahnen. Im Augenblick stelle ich Nachforschungen über den
Manhattan Limited
der New-York- und Quebec-Linie an.«
»Das ist der, der über der Deauville Bridge eingestürzt ist.
Wissen Sie, daß da hundert Leute umgekommen sind?«
»Ja, ich weiß.«
Der alte Mann starrte aus dem Fenster. »Der
Manhattan Limited
ist etwas Besonderes«, sagte er. »Man erkennt ihn immer, wenn er vorbeikommt. Hat seinen eigenen Klang.«
Pitt glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Der Tankwart sprach in der Gegenwartsform. »Sie meinen sicher einen anderen Zug.«
»Nein, Sir. Ich habe den alten
Manhattan Limited gesehen,
wie er über die Schienen raste, mit seiner pfeifenden Lokomotive und den großen Scheinwerfern. Genau wie in der Nacht, als er in den Fluß stürzte.« Der Alte sprach von dem Geisterzug, als ob er über das Wetter redete.
Es war fast dunkel, als Pitt seinen Wagen an einer kleinen Ausweichstelle der Straße parkte.
Ein kalter Wind wehte von Norden. Pitt zog den Reißverschluß seiner alten Lederjacke bis zum Hals zu, stellte den Kragen auf. Er streifte sich eine wollene Skimütze über, stieg aus dem Wagen, verschloß die Tür.
Der westliche Himmel färbte sich purpurblau, als Pitt zum Fluß stapfte. Seine Stiefel knirschten auf dem gefrorenen Schnee. Er hatte seine Handschuhe vergessen, aber er wollte keine Zeit verlieren, solange er noch etwas Tageslicht hatte.
Nach einer Viertelmeile gelangte er an eine Gruppe von Hickorybäumen und niedrigem Gebüsch. Er bahnte sich seinen Weg um das frostige Geäst, aus dem seltsame Eiskristalle zu wachsen schienen, und kam an eine Ufererhöhung. Der Abhang war steil, und er mußte die Hände benutzen, um auf dem glitschigen Boden nach oben zu klettern.
Endlich stand er auf dem ehemaligen Gleisunterbau. Er war stellenweise aufgerissen und mit Unkraut überwachsen, das mit seinen toten Spitzen aus dem Schnee hervorragte.
Im Dämmerlicht nahm Pitt die Spuren der Vergangenheit auf.
Ein paar morsche Querschwellen, hie und da eine rostige Schraube. Die Telegrafenmasten standen noch, bis in die Ferne aufgereiht, wie schlachtmüde Soldaten. Die verwitterten Querbalken hatten der Zeit standgehalten.
Pitt ging die leichte Biegung entlang, die zu der ehemaligen Brückenauffahrt führte. Sein Atem bildete kleine, rasch sich verflüchtigende Wolken. Ein Kaninchen sprang vor ihm auf und hüpfte den Hang hinunter.
Die Nacht brach herein. Er warf keinen Schatten mehr, als er stehenblieb und auf den eisigen Fluß fünfundvierzig Meter unter sich blickte. Das Steinfundament der Deauville-Hudson-Brücke schien ins Nichts zu führen.
Zwei einsame Strebepfeiler erhoben sich wie verlorene Wachtposten aus dem Wasser. Keine Spur mehr von dem hundertfünfzig Meter langen Überbau, den sie einst gestützt hatten. Man hatte die Strecke weiter südlich verlegt, wo sie den Fluß auf einer neuen und solider gebauten Brücke überquerte.
So stand Pitt eine lange Weile, versuchte sich vorzustellen, was in jener schicksalhaften Nacht geschehen war, stellte sich vor, wie das rote Licht des letzten Wagens immer kleiner wurde, während der Zug über die Brücke donnerte, hörte das Kreischen des Metalls und den klatschenden Aufprall in
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