Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
bekräftigten.
Wenn das Unfassbare, das Böse, so unerwartet in die Normalität, in das Leben einer Familie tritt, erfordert es eine enorme psychische Anstrengung und Stärke, dass sie daran nicht zerbricht, weiterhin zusammenhält, das Gefühl der Machtlosigkeit akzeptiert.
Ich wollte nicht daran denken, was Jakobs Familie auszuhalten hatte, aber ich konnte mich dieser Gedanken nicht erwehren, erahnte ihre Angst und ihre Hoffnung, die Narben, die bleiben würden. Die furchtbare Frage, wem sie noch vertrauen könnten, welche Person, die sie kannten, ihrem Kind so großen Schaden zufügte, sie stand im Raum und zermürbte das Denken. Ein anderer Mensch spielte Gott und nahm sich das Recht heraus, über Leben und Tod des eigenen Kindes zu entscheiden.
Das Treffen des Führungsstabs am Samstagmorgen ergab keine Neuigkeiten im Entwicklungsstand. Die Entführer hatten noch nicht bei Familie von Metzler angerufen, um ein Lebenszeichen von Jakob zu übermitteln oder die Geldübergabe zu bestätigen. Es wurde beschlossen, noch nichts über das Telefonat Elenas mit ihrer Freundin Maja verlauten zu lassen, da der Schwerpunkt der Ermittlung nicht das Fassen der Entführer, sondern das Leben Jakobs war. Die laufenden Telefonüberwachungsmaßnahmen bei Familie von Metzler mussten geheim gehalten werden, da ein »Innentäter« zu diesem Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden konnte. Ein Bekanntwerden der Telefonüberwachungsmaßnahmen (TÜ-Maßnahmen) hätte sich in diesem Fall zu einem nicht einschätzbaren Risiko für die körperliche Unversehrtheit des Entführten entwickelt. Eine offene Befragung unter Preisgabe der Quelle konnte somit nicht erfolgen. Dies war auch die Einschätzung der Verhandlungsgruppe, die sich bei der Familie im Haus befand.
Wenn sich die Entführer nicht vor der Nacht von Samstag auf Sonntag meldeten, musste die Geldübergabe abgewartet werden. Polizeipsychologe Stefan S. regte an, dass der Zentrale Psychologische Dienst (ZPD) ein Schreiben ausarbeiten könnte, in dem Friedrich von Metzler die Entführer bäte, Jakob nach dem Erhalt des Lösegeldes zu befreien. Es sollte dem Lösegeld beigelegt werden. Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen.
Weiterhin wurde eine Entscheidung über die Art der Lösegeldpräparation getroffen und an die entsprechende Stelle weitergeleitet. Alle Geldscheine sollten nummernmäßig erfasst werden, damit sie zweifelsfrei identifiziert werden konnten.
Die technischen Durchfahrtskontrollen in der Nacht, hatten – wie erwartet – keine Resultate erbracht.
Es musste eine Pressekonzeption ausgearbeitet werden, und die Durchsuchungsmaßnahmen möglicher Handlungsorte sowie der Verwahrungsorte mussten vorbereitet werden.
Besonders zu durchdenken und zu organisieren war die Geldübergabe. Jakobs Vater wollte diese unbedingt selbst übernehmen, um seinen Sohn auf keinen Fall zu gefährden. Es musste also ein geschulter Begleiter ausgemacht werden, der ihn unauffällig im Auge behalten und nur im Falle der Lebensbedrohung eingreifen sollte und vielleicht auch als Fahrer des Übergabeautos eingesetzt werden könnte. Die Erfüllungskonzeption, das hieß, das Leben des Kindes, stand über allem, ließ nur einen geringen Handlungsspielraum für den Begleiter.
Bei Problemen an der Ablagestelle des Lösegelds, wie zum Beispiel das Auftauchen Betrunkener, mussten Kräfte zur Verfügung stehen, die bei Bedarf eingreifen konnten, ansonsten musste der unmittelbare Bereich um die Geldablage polizeifrei bleiben.
Bis zur nächsten Lagebesprechung sollte ein Konzept ausgearbeitet werden, um eine reibungslose und unauffällige Verfolgung des oder der Abholer des Lösegelds zu ermöglichen.
Um 11.30 Uhr fand in Daschners Büro ein Gespräch mit Friedrich von Metzler, Hans Hermann Reschke und Kriminaloberrat Gerhard Budecker statt. Die Angst und Sorge der Familie um ihren jüngsten Sohn waren deutlich spürbar.
Im Vordergrund stand die Frage nach der polizeilichen Bewertung der Gefährdungslage. Die Kasuistik, die Auswertung früherer Entführungsfälle, ließ keine konkrete Aussage zu. Vieles sprach dafür, dass Jakob noch am Leben war – schon allein deshalb, weil der Entführer damit rechnen musste, dass vor der Zahlung des Lösegeldes ein aktuelles Lebenszeichen des Opfers gefordert werden könnte.
»Herr von Metzler, ich verspreche Ihnen, dass die Polizei nichts tun wird, was Ihren Sohn gefährden könnte. Und wir werden alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um sein Leben
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