Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
zu retten«, beendete Wolfgang Daschner das Gespräch. Mehr Trost konnte er in dieser angstvollen Situation leider nicht spenden.
Das Versprechen hat er nie vergessen und bei jeder Entscheidung dieses Falles vor Augen gehabt.
Jakob war zur Tatzeit elf Jahre und fünf Monate alt. Gemeinsam mit seinen Geschwistern Franz und Elena wuchs er im elterlichen Anwesen in Frankfurt am Main auf. Die Grundschuljahre verbrachte er in der Textorschule in Sachsenhausen, in der er eine bilinguale Klasse besucht hatte. Jakob wechselte dann, wie schon zuvor seine Schwester, auf die Carl-Schurz-Schule, ein Gymnasium in Sachsenhausen, er absolvierte derzeit das sechste Schuljahr.
Bei einer Größe von 1,45 Meter wog Jakob nur 35 Kilogramm, war also relativ zart und klein. Er wirkte noch sehr kindlich, war schüchtern, bescheiden und verträumt. Im Schulalltag hatte Jakob mit Konzentrationsproblemen zu kämpfen, ihm fiel das Stillsitzen schwer. Er hatte ein unbeschwertes Wesen, lachte gerne, war ein treuer und guter Freund, der sich im Hintergrund hielt. Neid und Boshaftigkeit waren ihm fremd.
Einmal hatte Jakob seine Tante Barbara von Metzler, die Schwester seines Vaters, ins Städelmuseum in Frankfurt begleitet, wo ein Spendentopf für die Restaurierungskosten aufgestellt war. Ohne zuvor etwas angedeutet zu haben, hatte Jakob sein Sparschwein mit dem gesparten Taschengeld mitgenommen und es in den Spendentopf geleert. Da seine Tante die Restaurierung des Museums förderte, wollte Jakob auch seinen Teil dazu beitragen und nicht hinter seiner Familie nachstehen.
In die Klassengemeinschaft war er voll integriert, da er ein fröhliches und unkompliziertes Kind war, seine Hilfsbereitschaft wurde geschätzt, er war sportlich und begeisterte sich für Fußball. Jakob hatte sich gerade das erste Mal verliebt – in eine Klassenkameradin.
Fremden gegenüber verhielt sich der Junge absolut zurückhaltend. Glücklich war er mit seiner Familie und seinen Freunden, mit den Menschen, die er kannte, denen er vertraute.
Ich hielt den Zettel mit der Kurzzusammenfassung seines Kinderlebens in der Hand. Der Verdacht der psychologischen Beratergruppe, dass Jakob seine Entführer kannte, wurde dadurch bestätigt. Jakob wäre nie mit einem Fremden mitgegangen.
Friedrich und Sylvia von Metzler waren in Abwägung einer positiven psychischen Reifung bemüht, ihre Kinder Normalität leben zu lassen. Sie durften die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, um mit ihren Klassenkameraden zusammen sein zu können. Ihr Haus stand den Freunden ihrer Kinder offen.
26 Stunden waren vergangen, seit Jakob verschwunden war, noch 36,5 Stunden fehlten bis zur Geldübergabe. Der Erpresserbrief gab Hoffnung, dass Jakob noch lebte, seine Freilassung nach der Geldübergabe war versprochen.
Wir hatten sonst keine Spur, keine Anhaltspunkte, die Ermittlungen kamen zum Stillstand. Die Fotos des Jungen hingen einsam neben der Kopie des Erpresserbriefes an der Pinnwand, in meinem Computer waren die Personagramme von allen der Familie bekannten Personen gespeichert.
Hans-Joachim Wölfel durchsuchte in der Zwischenzeit Jakobs Zimmer und stellte DNA-Material sicher. Da wir nicht an die Öffentlichkeit gehen durften, um das Leben Jakobs nicht zu gefährden, konnten wir auch keine Befragungen durchführen. Für alle Fälle war jedoch eine Pressemitteilung ausgearbeitet worden.
Die Lösegeldpräparation war langwierig, aber der späte Geldübergabetermin ließ unseren Leuten genügend Zeit. Ansonsten blieb uns nichts anderes übrig, als die Geldübergabe bestens vorzubereiten, der oder die Geldabholer durften keinen Moment lang aus den Augen verloren werden. Es war die einzige Chance, Jakobs Aufenthaltsort herauszufinden.
Unser Leitsatz hieß auch in diesem Fall »Tarnung vor Wirkung« – lieber die Geldabholer entkommen zu lassen, als jemals das Leben des Jungen aufs Spiel zu setzen.
Wir beschlossen, dass sich im Umkreis des Geldübergabeortes Kollegen des SEK, des Spezialeinsatzkommandos, in die Erde eingraben sollten und somit im Notfall eingreifen konnten. Das MEK, das Mobile Einsatzkommando, stellte die Männer, die in Büschen versteckt und in Tarnkleidung spiralförmig um den Ort aufgestellt werden sollten, damit jeder Fluchtweg abgedeckt wäre. Der Begleiter Friedrich von Metzlers wurde ausgewählt und auf seine Aufgabe vorbereitet.
Auf allen Parkplätzen rund um den Stadtwald sollten unsere fiktiven Liebespaare ihr Spiel treiben. Jede Ausfallstraße wurde überwacht.
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