Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
mir diese Wartezeit bis zur Geldübergabe suspekt und nicht nachvollziehbar erschien. Warum schenkten die Täter der Polizei zwei Tage, die Geldübergabe vorzubereiten, so dass sie gar keine Chance haben würden, zu entkommen? Wie konnten sie sich so sicher sein, dass die Familie nicht die Polizei benachrichtigen würde? Es war offensichtlich, dass der oder die Täter keine Profis waren. Und dass sie nicht wussten, was es bedeutete, ein verängstigtes Kind drei Tage lang zu betreuen und in einem Versteck am Leben zu erhalten.
Ich empfand Wut und Abscheu. Aus Geldgier mit einem Kinderleben zu spielen! Mich ergriff das düstere Gefühl, alle Bemühungen kämen zu spät. Niemals wollte ich erleben, dass eines meiner Kinder in einer solchen Gefahr schweben müsste, es war unmenschlich, da konnte niemand unbeschadet davonkommen. Jakob sowieso nicht, aber auch die Eltern und Geschwister würden ihr Leben lang mit Ängsten und schlechtem Gewissen zu kämpfen haben, mit der Belastung, im Moment der Not nicht da gewesen zu sein.
Sandra und Frank, zwei Kollegen aus meinem Kommissariat, kehrten von der Suche nach möglichen Entführungsschauplätzen zurück und unterbrachen meine Gedanken.
»Vor der Schule scheint uns eine Annäherung eher unwahrscheinlich, da kennt jeder jeden. Es bleibt die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme im Bus oder an der Haltestelle, an der Jakob den Bus verlassen hat. Wir wissen aber, dass einige Schulkameraden dieselbe Buslinie wie Jakob benutzen, das wäre für die Täter zu gefährlich. Deshalb glauben wir, dass die Haltestelle, an der Jakob den Bus verlassen hat, der bestmögliche Platz gewesen wäre, um ihn abzufangen«, erklärte Sandra.
»Es gibt genug Parkmöglichkeiten, sollte der Täter ein Auto benutzt haben, die Stelle ist nicht sehr frequentiert, eine Tankstelle liegt gegenüber der Haltestelle, längs der Mörfelder Landstraße wachsen an dieser Stelle einige mannshohe Büsche. Die nächste Einkaufsstraße liegt ungefähr 300 Meter entfernt, ebenso eine große Siedlung, die ehemaligen Eisenbahnerwohnungen«, beschrieb Frank die Situation.
»Wir haben natürlich nach Spuren und etwaigen Indizien Ausschau gehalten, wie der Schultasche oder einem verlorenen Kleidungsstück, aber nichts gefunden.«
»Solange die Entführung nicht offiziell bekanntgemacht wird, können wir auch niemanden nach Hinweisen fragen – zum Beispiel könnte der Tankwart etwas Ungewöhnliches bemerkt haben«, sagte Sandra.
»Das beschränkt auf alle Fälle schon einmal die Tatortauswahl und bestätigt, was Jakobs Freund zu Frau von Metzler gesagt hat. Danke«, antwortete ich und wandte mich meinem Computer zu. Vielleicht wollte es der Zufall und jemand von der Liste wohnte dort in der Nähe, das würde natürlich nicht unbedingt etwas bedeuten, aber – nichts, nicht der kleinste Anhaltspunkt.
Ich schloss die Augen und versuchte, einen Moment Ruhe in meinen Kopf zu bringen, bevor ich die Personagramme noch einmal von vorne durchgehen wollte.
Einige Beamte des Mobilen Einsatzkommandos bereiteten unterdessen die Überwachung der Villa der Familie von Metzler vor. Jedes vorbeifahrende Auto und jeder Fußgänger sollten fotografiert werden. Das Unterfangen erwies sich allerdings als sehr schwierig, da die technischen Möglichkeiten beschränkt waren.
22.10 Uhr. Sandras Stimme dröhnte im Hörer. »Ortwin, wir haben was, komm her und hör es dir an!«
Endlich.
Ich trat in das Zimmer, in dem die Telefonüberwachung stattfand, und stülpte mir die Kopfhörer über.
»Guten Abend, hier spricht Elena, entschuldigen Sie die Uhrzeit, aber kann ich nochmal mit Maja [Name geändert] sprechen?« Elenas Stimme klang bedrückt.
»Natürlich, Elena, einen Moment, ich rufe sie.« Ich hörte, wie sich Majas Vater entfernte und seine Tochter ans Telefon rief.
»Elena, gibt es etwas Neues?«
»Nein, Maja, aber ich wollte noch einmal deine Stimme hören. Ich muss ständig an Jakob denken. Franz ist mit einem Freund ausgegangen, er hat es zu Hause nicht mehr ausgehalten, wollte mit jemand anderem darüber sprechen. Ich verstehe ihn ja, ich mache dasselbe mit dir. Es tut gut, sich nicht nur in der Familie darüber auszutauschen. Die Gespräche drehen sich im Kreis und meine Eltern sind in einem elenden Zustand.«
»Elena, ich habe meinem Vater von der Entführung erzählt!«
»Aber warum denn, das darf doch niemand wissen, du hattest es mir versprochen!« Elena klang ärgerlich.
»Ich konnte nicht anders. Als ich ihm
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