Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
Gericht ein Schreiben vor, das beinhaltete, seine Tochter sei bei der Festnahme »gefoltert« und mit Massenvergewaltigung bedroht worden.
Seine 16 Jahre alte Tochter sei an den Haaren gepackt, über den Boden geschleift sowie »öffentlich unter Gewaltandrohung nackt ausgezogen« worden. »Die Professionalität« der Kommandoführung habe in der »mehrfachen massiven Androhung von Massenvergewaltigung durch die Einsatzkräfte« gegipfelt, wenn sie nicht verrate, wo der entführte Jakob von Metzler versteckt sei. Der Vorgang sei eine Blamage für »zivilisierte rechtsstaatlich handelnde Polizeiprofis«.
Laut ärztlicher Stellungnahme sei die Schülerin seit dem Einsatz traumatisiert, von einer weitgehenden und nachhaltigen Zerstörung ihrer Persönlichkeit durch die Aktion war die Rede. Der Vater beantragte, deswegen bei der für die folgende Woche geplanten Vernehmung seiner Tochter die Öffentlichkeit auszuschließen.
Was ein Mal – bei Gäfgen und seinem fantasiereichen Schauer märchen von der Bedrohung am 1. Oktober 2002 – so glatt funktioniert hatte, sollte wohl seine Tochter vor einer Vernehmung in der öffentlichen Hauptverhandlung verschonen.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt leitete daraufhin gegen die Beamten des Sondereinsatzkommandos, die Gäfgen und seine Freundin Marianne K. am 29. September 2002 am Frankfurter Flughafen festgenommen hatten, ein Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung ein.
Mit der gebotenen Zurückhaltung brachte der Sprecher des Polizeipräsidiums seine Verwunderung über den späten Zeitpunkt der elterlichen Äußerung zum Ausdruck und schloss prozesstaktische Überlegungen nicht aus.
Wieder gab es Schlagzeilen. »Wird Folter normal?« – so die Quintessenz. Natürlich tauchten »Insider« auf, vermeintliche Polizisten, die gleich die nächste Story verkaufen wollten – sie hätten gesehen, wie jemand geschlagen, gewaltsam in ein Auto verfrachtet und abtransportiert wurde. Schließlich der nächste Vorwurf: Die Filmaufnahmen der Festnahmeaktion wären vernichtet worden.
Marianne K. und ihr Vater hatten jedoch keinen Erfolg mit ihrem Vorgehen.
Mehrere unbeteiligte Personen hatten die Festnahme am Flughafen beobachtet. Sie meldeten sich als Zeugen und sagten aus, dass Marianne K. völlig korrekt behandelt worden sei.
Um Marianne K. zu schützen, wurde ihr selbstverständlich trotzdem gestattet, unter Ausschluss der Öffentlichkeit auszusagen.
Am 28. Juli 2003 wurde Magnus Gäfgen von der 22. Großen Strafkammer des Landgerichtes Frankfurt wegen »Mordes in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub mit Todesfolge und wegen falscher Verdächtigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung in zwei Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe« verurteilt. Das Gericht stellte die besondere Schwere seiner Schuld fest. Drei Mordmerkmale sah die Kammer als erfüllt an: die Heimtücke, die Habgier und die Verdeckung einer Straftat.
Ausführlich beschäftigte sich die Strafkammer mit der persönlichen Entwicklung des Angeklagten und erörterte das dazu erstellte Gutachten.
Über 30 Zeugen waren gehört worden. Dagegen wurde eine Zeugin, die unbedingt aussagen wollte, um Falschdarstellungen klarzustellen, nie gehört: Die Mutter der beiden durch Gäfgen falsch verdächtigten und ihren Angaben zufolge auch missbrauchten Brüder B. wurde nicht vorgeladen. Nicht einmal eine Begründung für diese Entscheidung wurde genannt.
Ich stand als Zeuge nicht zur Verfügung, weil ich selbst den Status eines Beschuldigten innehatte.
Gäfgen schaffte es erst in seinem Schlusswort, die Mordabsicht zuzugeben, und hoffte damit, der Schwere der Schuld zu entgehen. Das Gericht argumentierte wie folgt dagegen:
Wesentliches Gewicht ist den Beweggründen für die Tat zuzumessen: Der Angeklagte hat das Leben eines Kindes geopfert, um seinen eigenen Lebensstil nicht aufgeben zu müssen. Dabei ging es nicht nur um die finanziellen Mittel – also die Umstände, die bereits die Habgier begründen und die hier nicht noch einmal berücksichtigt werden –, sondern wesentlich auch um die Aufrechterhaltung seiner »Maske«, um das mehr Scheinen als Sein. Bemerkenswert war insoweit die ichbezogene, allein an den eigenen Bedürfnissen ausgerichtete – nicht von schicksalhaften Konfliktsituationen abhängige – soziale Rücksichtslosigkeit der Interessenverwirklichung, bei der das Rechtsgut »Leben« absolut degradiert wurde.
Weiter war zu berücksichtigen, dass in der monatelangen, minutiösen
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