Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
andere Seiten an mir gibt, wurde dargestellt und auch durch Zeugen und Fakten bestätigt, aber man wollte davon nichts hören. Das passte nicht ins Bild und hätte so viele Fragen und Probleme aufgeworfen, denen man sich gar nicht stellen wollte. So hat man es sich eben leicht gemacht.
TS: Gegen Polizeivizepräsident Daschner, der Sie foltern lassen wollte, ist immer noch keine Anklage erhoben worden. Wie stehen Sie dazu?
Gäfgen: Zunächst einmal ist das ›wollte‹ in Ihrer Frage falsch, die Folterdrohung durch Herrn Daschner ist juristisch gesehen selbst bereits Folter. Dass man das Verfahren gegen ihn verschleppt, ist offensichtlich. Seitdem meine Geständnisse und Aussagen für nichtig erklärt wurden, besteht zum Thema Folter von mir keine wirksame Aussage. Was soll man von einem Ermittlungsverfahren halten, in dem zehn Monate nach der Tat noch nicht mal der geschädigte Zeuge gehört wurde? Das Gericht verurteilte mich neben dem Mord auch wegen falscher Verdächtigungen – dass diese durch Folterdrohung erpresst wurden, will das Gericht noch nicht mal überprüfen. Genauso wie zu den Misshandlungen bei der Festnahme durch das MEK weder meine damalige Freundin noch ich vor Gericht etwas aussagen durften. Das sollte doch schon nachdenklich stimmen. Das alles ändert nichts an meinem schrecklichen Verbrechen an Jakob. Vielleicht habe ich auch kein moralisches Recht, mich über diesen Justizskandal zu beschweren; aber jeder rechtsstaatlich denkende Mensch sollte hier sehr hellhörig werden, welcher Weg hier eingeschlagen wird.«
Auch hier wurden wieder Lügen, Falschaussagen von Gäfgen ungeprüft übernommen und veröffentlicht. Am 15. Januar 2003 wurde Gäfgen in der JVA Weiterstadt vernommen. Der »geschädigte Zeuge« war sehr wohl gehört und ihm war auch in Teilen geglaubt worden.
Und dann wieder das Selbstmitleid:
Kann das Geschehen weniger Minuten in der Lage sein, die Bedeutung von Konstanten meines Lebens auszulöschen, die für eine Zeit von zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren prägend waren?
(aus: Magnus Gäfgen, Allein mit Gott – Der Weg zurück , 2005, S. 44)
Und schließlich wieder die Lügen, Übertreibungen:
… die Intensität der Schmerzen zu hoch sein würde, als dass ich sie bei Sinnen würde ertragen können. Diese Umstände sind eindeutig. Kurzum: Die Folter war gezielt und bewusst darauf ausgerichtet, das Höchstmaß denkbarer Schmerzzufügung als Mittel der Aussageerpressung in Kauf zu nehmen. Genau die mir zugedachte Behandlung, nämlich die Erniedrigung des Menschen zum Objekt eines mit unbegrenzter physischer Gewalt erzwungenes Geständnisses (Daschner benutzte genau diesen Begriff in seinem Vermerk) …
(aus: Magnus Gäfgen, Allein mit Gott – Der Weg zurück , 2005, S. 220/221)
Es ist genau das eingetreten, was Experten vorausgesehen haben. Statt seine Tat aufzuarbeiten, flieht Gäfgen in sein bewusst falsch beschriebenes Foltermärchen. Die Beschreibung wird von Mal zu Mal fantastischer, und er verleumdet Daschner und mich durch die falsche und übertriebene Wiedergabe seines Vermerkes.
Er will sich als netten jungen Mann darstellen, den das »Geschehen weniger Minuten« nicht verändern konnte.
Den Mord an einem Kind so zu umschreiben, sagt alles und bedarf keiner weiteren Erklärungen.
Der Vorsitzende Richter der Strafkammer, Hans Bachl, hatte andere Eindrücke gewonnen. In einem Statement der HR-Dokumentation (»Die großen Kriminalfälle – Jakob von Metzler – Tod eines Bankierssohns«, 01.12.2008) beschreibt er:
»Das, was er uns erzählt hat, und die Art und Weise, wie er es erzählt hat, war – so sehe ich das heute in der Erinnerung – ohne persönliche Regung. Da ist nichts rübergekommen, das war sehr stereotyp.
Das, was bei Gäfgen rübergekommen ist beim Gericht, ist: Er tut sich sehr leid. Und das war durchgehend. Bei allen Bemühungen, uns dieses Tatgeschehen nahezubringen – er tut sich furchtbar leid, in welche Situation er sich gebracht hat.«
Natürlich ist es nicht meine Aufgabe, Gäfgens geistige Verfassung zu analysieren, aber es ist wichtig, sein Verhalten anzusprechen. Auch die von seinem Anwalt so gut in Szene gesetzte Frage, wie ein so netter Mann so eine Tat begehen konnte, gehört zum Puzzle. Gäfgen sucht nach Gründen für sein Verbrechen, die außerhalb seines Selbst liegen, und wird darin unterstützt. Schuld sind immer die anderen, erst Marianne K., die so viel Geld brauchte, dann Jakob, der so laut schrie und nicht ruhig blieb.
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