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Um Leben Und Tod

Um Leben Und Tod

Titel: Um Leben Und Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Hoehn , Ortwin Ennigkeit
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über unser Leben. Aber es sind genau diese Erlebnisse, die sich ganz tief in unsere Psyche eingraben und ihr verborgenes Spiel mit uns treiben. Ein Moment der Schwäche meiner Mutter, den sie vielleicht kurz darauf vergessen hatte, hatte mein Leben geprägt, hatte sich verselbstständigt.
    Ich wuchs mit Karl-May-Moral und schlechtem Gewissen auf, obwohl ich nichts getan hatte, für das ich mich hätte schämen müssen, fühlte mich aber für das schwere Leben meiner Mutter mitverantwortlich. Überall suchte ich nach Informationen darüber, wie ein Mann sein sollte.
    Er kam pünktlich. Ein großer, schlaksiger junger Mann in einer dunklen Windjacke näherte sich, drehte sich immer wieder um, schaute, wartete ab, tat, als würde er den Fahrplan studieren, doch sein Blick haftete auf den Plastiktüten, die an der Straßenlaterne der Haltestelle Oberschweinstiege lehnten. Der junge Mann näherte sich den Tüten, schaute hinein, packte sie und verschwand daraufhin im Wald.
    Auf einer Bank in der Nähe des Jacobi-Weihers überprüfte der junge Mann das Geld, er schien keine Eile zu haben. Er las den Zettel, den Jakobs Vater dem Geld beigelegt hatte, und legte ihn zur Seite. Manchmal blickte er auf, als würde er spüren, dass er beobachtet wurde. Er wählte den Weg am Ufer entlang, wo ihm zwei Polizeibeamte, ein fiktives Liebespärchen, begegneten, bog schließlich in Richtung Neu-Isenburg ab. Als er auf die Straßenbahngleise traf, lief er sie entlang. In einer Seitenstraße entsorgte er die Plastiktüten und das Schreiben Friedrich von Metzlers in einer privaten Mülltonne. Das Geld hatte er in seinen Rucksack gesteckt.
    Sobald er in seinem Auto war, fuhr er los, bremste aber nach einer Kurve scharf ab und schaltete das Licht aus. Die Autos, die ihm gefolgt waren, fuhren weiter, das Kennzeichen des roten Honda Civic war schon längst weitergeleitet.
    Als ich gegen 1.10 Uhr zu Hause angekommen war, rief ich sofort im Präsidium an, um zu erfahren, ob die Geldübergabe ohne Komplikationen abgelaufen war. Ein junger Mann hatte die Aldi-Plastiktüten mit dem Geld abgeholt, er stand unter Beobachtung.
    Erschöpft stellte ich mich unter die Dusche, um abzuschalten. Ich brauchte Schlaf, um in der Früh wieder zu funktionieren.
    Sobald ich die Augen schloss, erschienen Bilder von Jakob in meinem Kopf, sein Gesicht, wie ich es auf den Fotos gesehen hatte. Hoffentlich hielt er durch.
    Mein Gott, er war erst elf Jahre alt, zwei Jahre älter als meine Tochter Lara, das war zu jung, um sich selber Mut zu machen, die Angst musste ihn verrückt machen, seine Überlebenschancen senken. Es waren fast drei Tage seit seiner Entführung verstrichen, für Jakob eine unendlich lange Zeit, wir mussten ihn finden. »Halte durch, bitte, halte durch!«
    Währenddessen fuhr der Geldabholer ohne erkennbares Ziel in der Gegend herum, als wollte er mögliche Verfolger in die Irre führen. In Frankfurt angekommen, hielt er an einer Bank in der Schweizer Straße und zahlte ein paar Hundert Euro in den Bankautomaten ein, die versteckte Überwachungskamera filmte ihn dabei. Der Name des Autohalters war Magnus Gäfgen, 27 Jahre alt, Jurastudent im 13. Semester, ehemaliger ehrenamtlicher Mitarbeiter der katholischen Kirche, nicht vorbestraft, aber bereits früher polizeilich in Erscheinung getreten: Er hatte im April 2001 einem Tankstellenpächter damit gedroht, ihm am nächsten Tag die Tankstelle abzufackeln, weil der sich geweigert hatte, dem bereits stark angetrunkenen Gäfgen Alkoholika zu verkaufen. Der Pächter hatte Gäfgen daraufhin angezeigt, und die Staatsanwaltschaft sah mit Verfügung vom 5. April 2001 gemäß § 153a Abs. 1 Strafprozessordnung von der Erhebung der öffentlichen Anklage ab, nachdem Gäfgen eine Geldbuße in Höhe von 500 Euro bezahlt hatte.
    Familie von Metzler wurde sofort nach der Geldübergabe über Magnus Gäfgen als Abholer des Lösegeldes in Kenntnis gesetzt. Magnus war ein weitläufiger Bekannter der Metzlerkinder, Jakob kannte also wenigstens einen seiner Entführer. Als Elena von Metzler im Telefongespräch mit ihrer Freundin ihren Verdacht gegen »Maggi« äußerte, hatte sie Recht gehabt. Sollte Gäfgen der einzige Entführer sein, bestand jedoch die Hoffnung, dass er – wie er im Erpresserbrief geschrieben hatte – auch seine Flucht vorbereitet hatte,

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