Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Um Leben Und Tod

Um Leben Und Tod

Titel: Um Leben Und Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Hoehn , Ortwin Ennigkeit
Vom Netzwerk:
reden müssen und wahrscheinlich professionelle Hilfe benötigen werden.«
    Friedrich von Metzler nahm seine Frau in die Arme. Die Angst um ihren Sohn hatte in den Stunden des Wartens seine wunderbare und lebensfrohe Frau in einen Schatten ihrer selbst verwandelt.
    Â»Vor dem Essen mache ich noch ein paar Schritte mit Herrn Wölfel im Garten«, teilte er mit.
    Â»Gut, wir sehen uns dann alle in einer Stunde bei Tisch.« Ihre Gedanken waren sofort wieder bei ihrem entführten Sohn.
    An sein ansteckendes Lachen zu denken, zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht.
    Friedrich von Metzler schrieb mit fester Hand die wenigen Worte für die Entführer: »Wir haben unseren Teil der Forderungen erfüllt, und wir hoffen, dass Sie Jakob gut behandelt haben und ihn morgen so schnell wie möglich nach Hause kommen lassen. Unsere Telefonnummer ist: xxxxxxxx.«
    Um 18.00 Uhr fuhren Friedrich von Metzler und sein Begleiter die Strecke zur Geldablagestelle ab und überprüften alles. Der Polizeibeamte war als Fahrer gekleidet, Friedrich von Metzler saß hinten, er war vom Innenlicht beleuchtet und von weitem erkennbar.
    Die Vorbereitungen zur verdeckten Absicherung des Übergabeortes waren in vollem Gange. Im engeren Bereich wurden nur »schwache Kräfte« eingesetzt, das heißt, wenige besonders geschulte Polizisten, die sich versteckt hielten; im weiteren Umfeld waren zahlreiche Kolleginnen und Kollegen in Zivilkleidung an der Arbeit, teilweise zu Fuß, teilweise in Fahrzeugen. Um 22.00 Uhr war offizieller Einsatzbeginn, alle Polizisten standen auf ihren Positionen, Hunderte von Reserveeinsatzkräften warteten auf der Wache oder in Fahrzeugen auf den Ausfallstraßen. Wir waren bereit. Jeder erdenkliche Fluchtweg der Geldabholer wurde so observiert, dass diese die Anwesenheit der Polizei nicht bemerken würden.
    Die Geldübergabe musste und konnte dank der Zeit, die der oder die Entführer gelassen hatten, reibungslos ablaufen. Wir hatten die Hoffnung, dass Jakob wie versprochen freigelassen werden würde, sobald die Täter das Lösegeld abgeholt hätten. Hielten die Täter an ihrer Tatplanung fest, stieg die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich auch an die weiteren Vorgaben halten würden und Jakob würde zu seiner Familie zurückkehren können.
    Wir konnten nur noch abwarten.
    Ich nutzte die Zeit, um nach Hause zu fahren und ein wenig zu schlafen. Mein Stellvertreter Jürgen P. war schon seit 20.00 Uhr da. Auf der Rückfahrt öffneten meine Gedanken an Jakob die Tür zu den wenigen Erinnerungen meiner Kindheit, Fragmente einer fast vergessenen Zeit.
    Castrop-Rauxel, ich bin nur noch selten dort gewesen, das kleine Schneidergeschäft. Während Vater gebückt an seinem langen Arbeitstisch stand, Stoffe in Kleidungsstücke verwandelte, durfte ich manchmal dabei sein und mit den leeren Garnspulen spielen. Die staubige Luft, die vielen Stoffballen, die hölzerne Kreidekiste und die abgenutzten Schneiderpuppen, an denen die unfertigen Kleider hingen, waren mir noch in Erinnerung. Manchmal bimmelte die Klingel an der Eingangstür und ein Kunde unterbrach das Kratzen des Stiftes auf dem Schnittpapier oder das Treten der Nähmaschine und ihr monotones Gesurre.
    Kurz bevor ich eingeschult wurde, erkrankte mein Vater, und mein Bruder und ich wurden zu den Großeltern nach Gießen geschickt. Dann war er tot. Es ging so schnell, doch die Leere, die blieb, dauerte viele Jahre an. Keinen Vater, kein männliches Vorbild … Ich habe mir fast alles selbst aneignen, zusammensuchen müssen. Nach der Beerdigung kam meine Mutter zurück und brachte mir Vaters Karl-May-Bände mit; ich war erst sechs Jahre alt, und nichts animierte mich mehr, lesen zu lernen, als die Geheimnisse, die ich in den Büchern vermutete. Wie die darin geschilderten Helden wollte ich ein Guter sein, helfen, das Böse zu bekämpfen.
    Ein paar Jahre später lief ich nach der Schule die Treppe hoch nach Hause, die Küchentür stand offen, da sah ich meine Mutter am Boden liegen, ihr ging es nicht gut, sie war völlig überanstrengt. Diese Angst, die ich empfand, sie auch noch zu verlieren. Sie durfte nicht sterben. Ich holte meine Oma und wir versorgten meine Mutter.
    Dieses Bild hatte ich weit hinten in meinem Kopf versteckt. Und in dieser Nacht ist es wiederaufgetaucht. Da denken wir, wir entschieden frei, wir handelten frei, wir hätten die Kontrolle

Weitere Kostenlose Bücher