Um Mitternacht mit dir im Bett
wieder vollkommen auf dem Damm sein.”
Endlich konnte Michael wieder frei durchatmen. “Vielen Dank, Doktor.”
“Keine Ursache.”
Sarah räusperte sich. “Die Sanitäter erwähnten etwas von Gift …”
“So kann man es auch nennen”, entgegnete Dr. Kluver. “Seamus Wolff hat aus Versehen zu viel Alkohol zusammen mit seinen Medikamenten zu sich genommen. Das kann eine tödliche Kombination sein.”
Sarah schüttelte den Kopf. “Das ist unmöglich. Ich habe allen Alkohol aus seinem Zimmer entfernt.”
Der Arzt nahm seine Brille ab und sah prüfend hindurch, ehe er sie wieder aufsetzte. “Nicht ganz. Der Wasserkrug auf seinem Nachttisch war halb voll mit Gin.”
“Gin?” Sarahs Kinnlade klappte herunter. Schuldbewusst sah sie Michael an.
“Du kannst nichts dafür”, sagte Michael sofort. “Mein Großvater hatte schon immer seinen eigenen Kopf. Wenn er einen Drink will, kann ihn nichts und niemand davon abhalten.”
“Du verstehst nicht. Es ist meine Schuld. Ich habe ihn veranlasst, von der Vergangenheit zu sprechen. Über den Brief. Das war zu viel für ihn.”
“Ich weiß nicht, ob es Ihnen hilft”, schaltete sich der Arzt ein, “aber Seamus hat mir gestanden, dass er während der ganzen letzten Woche Gin in seinen Krug gefüllt hat. Dieses Mal hat er einfach übertrieben.”
“Und ich selbst habe ihm Gin zum Trinken angeboten, ohne es zu merken. Was bin ich doch für eine schlechte Pflegerin.” Sie wandte sich reumütig an Michael. “Du hast dir das falsche Mädchen für den Job ausgesucht.”
Aber das richtige für sein Bett. Für sein Herz. Er wünschte nur, er könnte sie irgendwie davon überzeugen.
Der Arzt hüstelte. “Ich muss leider gehen. Rufen Sie mich an, wenn Sie Grund zur Besorgnis haben. Und verstecken Sie den Gin demnächst besser.”
“Bestimmt.” Michael schüttelte ihm die Hand. “Vielen Dank, Dr. Kluver. Es war nett von Ihnen, zu uns herauszukommen.”
Der Arzt lachte. “Seamus ist da anderer Meinung. Kaum war er wieder bei Bewusstsein, forderte er mich auf, meinen dicken Hintern schleunigst in die Stadt zu bewegen. Er denkt, ich berechne ihm für den Hausbesuch ein Vermögen, was ich auch tun werde.”
Noch immer lachend, entfernte sich der Arzt. Michael wartete, bis er um die Flurecke verschwunden war, ehe er sich an Sarah wandte.
“Ich verbiete dir, dich wegen dieser Sache schuldig zu fühlen.”
Wider Willen musste Sarah lächeln. “Es geht nicht alles nach dir, Michael, auch wenn du dir noch so viel Mühe gibst.”
Daran brauchte sie ihn nicht zu erinnern. Wenn alles nach ihm gegangen wäre, dann lebte seine Mutter noch bei ihm, sein Vater wäre nicht mit dem Flugzeug abgestürzt, und Sarah würde ihn nicht verlassen.
“Mach dir keine Sorgen um mich.” Sarah gab ihm einen leichten Schubs. “Geh jetzt zu deinem Großvater. Das wird euch beiden guttun.”
Michael betrat Seamus’ Zimmer. Zu spät merkte er, dass Sarah ihm nicht folgte. Er drehte sich um, sah den leeren Flur und spürte dieselbe Leere in sich.
Seamus beobachtete ihn mit halb geschlossenen Augen vom Bett her. Doch bevor sie ihm zufielen und er einschlief, konnte er noch kaum hörbar äußern:
“Liebe ist die Hölle.”
Michael verließ Seamus’ Schlafzimmer, als die Standuhr unten im Erdgeschoss elf Mal schlug. Sein Großvater hatte fast den ganzen Abend über geschlafen, und Michael hatte bei ihm gewacht.
Blair hatte eine Weile an der anderen Seite des Bettes gesessen, sich dann aber in ihr Zimmer zurückgezogen mit der Bemerkung, dass sie ihren Mann nicht stören wolle.
So schliefen also alle in der Wolffschen Villa in dieser Nacht allein. Michael verlangsamte seinen Schritt, als er an Sarahs Tür vorbeikam. Er dachte an ihr Gespräch vor wenigen Stunden.
Sein Großvater sei der einzige Mensch, der ihn liebte und dem etwas an ihm lag, hatte er ihr gesagt. Das ist nicht wahr, hatte sie ihm geantwortet.
Er blieb stehen. Das Blut rauschte ihm in den Ohren. Was hatte sie damit gemeint? Wäre in dem Moment nicht der Arzt aus dem Zimmer gekommen, hätte er um eine Erklärung gebeten – nein, sie gefordert.
War es möglich, dass Sarah Hewitt etwas an ihm lag? Dass sie ihn womöglich liebte? Ihm war bewusst, dass er nicht in ihr Herz sehen konnte und von allein nie erfahren würde, ob das stimmte.
Kurz entschlossen klopfte er an die Tür. Seine Hände wurden feucht, während er wartete und überlegte, was er Geistreiches sagen könnte, wenn sie die Tür öffnete. Etwas,
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