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Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz

Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz

Titel: Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samy Molcho
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    Künstliche Nähe, die wir auch als virtuelle Nähe bezeichnen könnten, schaffen sich viele Menschen auch durch eine Pseudo-Identifikation mit Medienstars. Die intensive Beschäftigung mit Idolen ruft eine scheinbare Vertrautheit mit ihnen hervor, die einen ganz ähnlichen Effekt hervorruft, wie die weiche Wäsche, die Geborgenheit suggeriert. Die Vorstellung, mit den Stars auf Du und Du zu stehen, vermittelt ein angenehmes Gefühl, für Stunden leben wir in einer Welt von Glanz und Glamour, fühlen uns zugehörig, empfinden die Stars in ihren Rollen und in ihrem (öffentlichen) Privatleben in den Klatschspalten als gute Bekannte. Man spricht unter Freunden (Freundinnen) über die Promis, als gehörten sie zum eigenen vertrauten Umgang, diskutiert miteinander darüber und korrigiert sich gegenseitig. Man gerät ins Flüstern: »Hast du gehört, die XY lässt sich scheiden bzw. hat einen neuen Liebhaber, hat in der letzten Zeit zugenommen, und das neue Outfit passt überhaupt nicht zu ihr …« Die Vorstellung, ein Teil ihrer Welt zu sein, erzeugt ein Gefühl von Nähe, das die eigene graue Lebenssituation jedenfalls zeitweise verdrängt. So schön die in dieser Weise produzierten Empfindungen sind, das Bedürfnis, sie sich auf diese künstliche Weise zu verschaffen, bezeichnet in jedem Fall einen Mangel an selbst erlebten Berührungen, an realer Nähe. Unsere Erziehung war, jedenfalls in der westlichen Welt, eher berührungsfeindlich. Wie oft konnte man hören: »Verwöhnt eure Kinder nicht so sehr! Nehmt sie nicht so oft in den Arm!« Glücklicherweise hat sich diese Einstellung inzwischen geändert. Aber noch immer geht der westliche Mensch selbst innerhalb der Familie eher sparsam mit Berührungen um. Es gehörte zur religiösen Tradition, den Körper als sündig, als eine Last zu empfinden. So wurde körperliche Berührung zum Tabu. Das führt so weit, dass Väter sich auch heute noch scheuen, ihre eigenen Töchter zu berühren, weil sie auch den Anschein eines sexuellen Missbrauchs fürchten. Spätestens mit dem Erreichen der sexuellen Reife eines Kindes reduzieren sich die Berührungen auf geradezu rein symbolische Gesten. Gerade einmal der Kopf oder die Arme werden gestreichelt, gerade einmal die Wange wird geküsst werden, um nicht in Gefahr zu geraten, ein Tabu zu brechen. Tatsächlich weckt jede Art körperlicher Berührung mehr Emotionen als alle Worte. Wir wissen alle aus Erfahrung, das jede kleine Berührung, mit der wir Trost, Schutz, Verständnis, Zärtlichkeit beweisen wollen, stärker wirkt als alle guten Worte. Der Zwiespalt entsteht aus der Tatsache, dass körperliche Berührung Gefühle auslöst, die wir oft mit dem Erotischen verbinden. Aber auch, wenn eine gewisse Sensualität empfunden wird, muss es sich nicht gleich um Sexualität handeln. Es entsteht die paradoxe Situation, dass wir dringend Gefühlsverständnis benötigen und uns zugleich davor fürchten, solche Gefühle zu hegen. Also bekommen wir Angst vor Berührungen und ziehen uns zurück.

    Vertraute Lieblingsobjekte, die oft weich und kuschelig sind und uns oft vom Babyalter bis ins Erwachsenenleben begleiten, werden zu Fetischen unserer Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit.

    Die Gefahr liegt darin, dass diese Hemmung Muster etabliert. Unsere Berührungsängste verstärken sich und hemmen uns sowohl bei der Partnersuche als auch in der Tagesarbeit, ganz allgemein reduzieren sich unsere sozialen Kontakte. Auf die Dauer verlieren wir auch unser Bewusstsein von uns selbst als ganzem Menschen. Wir treiben die Ritualisierung immer weiter, und unsere Gefühle sterben ab.
    Verbinden sich unserem Verständnis nach körperliche Berührung mit Intimität und Intimität mit Sexualität, vermeiden wir in unserem sozialen Leben körperliche Berührung so gut wir können oder reduzieren sie auf Rituale wie Händeschütteln und Schulterklopfen. Vielfach wird das Bedürfnis nach Berührung aber auch durch Verlagerung auf institutionalisierte Bereiche wie Sport, vor allem Mannschaftssport, und in der Beziehung zwischen den Geschlechtern durch Tanzen kompensiert.

    Weiche Stoffe erwecken wohlige Gefühle, die unserem Verlangen nach Geborgenheit entgegenkommen. Sie entspannen die Haut und beruhigen.
    Der Tanz nimmt nicht ohne Grund in vielen alten Ritualen einen zentralen Platz ein. Die Nähe zum anderen und damit auch das eigene Selbstempfinden werden durch die gemeinsame Bewegung im selben Takt gestärkt. Das gilt für fröhliche

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