Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz
Feiertage ebenso wie für ein letztes Auftanken von Zuversicht und Mut, bevor es in den Krieg geht.
Miteinander zu tanzen erfüllt also eine wichtige Funktion, die auf die Grundlagen, von denen bereits die Rede war, zurückführt: Wenn nämlich Gefühle zuallererst Bewegung auslösen, bedeutet dies, dass ich mich in dem Moment, in dem ich ein Gefühl empfinde, auch bewegen möchte, weil in mir etwas geschieht. Das Tanzen ist eine hervorragende Gelegenheit, Gefühle zu balancieren, auch und gerade dann, wenn es sich um erotische Gefühle oder um eine tief gehende Zuneigung handelt. Denn die Ordnung des Tanzens verleiht mir das Selbstvertrauen: Ich kann mit mei-nen
Gefühlen umgehen, kann sie in geregelte Bewegung umsetzen. Anstatt sie zu blockieren, sie zu unterdrücken und damit Frustration zu schaffen, übersetze ich sie in rhythmisch geordnete Bewegung und beherrsche sie zugleich. Sonst muss die Energie explosionsartig freigesetzt werden, durch den Tanz aber werden die erregten Gefühle in Bewegungsenergie umgesetzt. Doch immer noch lässt sich dieselbe Energie zu einer Intensivierung der gegenseitigen Gefühle nutzen, die zur intimsten Nähe führt.
Bereits in früher Zeit und bis heute reagiert die Textilbranche auf die Wünsche der Damenwelt nach weicher und manchmal auch glatter Bettwäsche. Das Model demonstriert perfekt, wie viel Nähe und Wohlempfinden ein solcher Stoff empfinden lässt.
Die Angst davor, beim »Grenzübertritt« zu versagen, verführt uns, zum Alkohol zu greifen, denn er verwischt tatsächlich die Grenzen. Gerade darin liegt natürlich die Gefahr: Der Alkohol hilft zwar, über Grenzen zu gehen, zugleich trübt er aber das Bewusstsein, löscht es im schlimmsten Fall sogar aus. Indem ich meine Hemmungen verliere, gehe ich mir selbst verloren.
Es gibt soziale Regeln, die stets vorgeben, uns zu schützen, uns aber zugleich zwingen, sie zu befolgen. Damit werden uns Gefühle oktroyiert, die keineswegs natürliche Reflexe sind. Wenn wir also Spielregeln brechen, Erwartungen nicht erfüllen können, die andere in uns setzen, wenn wir
glauben, jemanden enttäuscht oder nach den sozialen Regeln etwas falsch gemacht zu haben, erwachsen uns daraus Schuldgefühle, die keinem natürlichen Instinkt oder Impuls entspringen, und wir empfinden eine gewisse Scham. Scham und Schuldgefühl kommen in der Natur beide nicht vor. Kein Tier schämt sich, und ich glaube auch nicht, dass ein Tier Schuldgefühle entwickelt. In Berührung mit dem Menschen hat es höchstens Angst vor Reaktionen. Was uns Menschen betrifft, lässt sich in diesem Zusammenhang von Nähe und Distanz eines mit Sicherheit sagen: Im selben Moment, in dem ich mich schäme, ziehe ich mich zurück.
Soziale Spielregeln
Jedes Zusammentreffen von Menschen wirft sofort die Frage nach den Spielregeln des gegenseitigen Berührens auf. Wie weit darf ein Lehrer, eine Lehrerin einen Schüler oder eine Schülerin berühren? Wie steht es damit aufseiten der Schüler gegenüber den Lehrern? Damit streifen wir auch ein Problem der unterschiedlichen Kulturen. Mittelmeer- und arabische Kulturen erleben wir auch in der Frage der gegenseitigen Berührung anders als mitteleuropäische, und damit sind nicht orthodox-religiöse Kreise gemeint.
Kinder suchen jedenfalls immer die Nähe von Respektspersonen, so wie sie die Nähe des Vaters suchen, weil sie Schutz von ihm erwarten und ihm gefallen wollen. Deshalb berühren sie ihn. Ich erwähnte aber schon, dass wir in der westlichen Welt Berührung eher vermeiden, weil wir Angst vor Gefühlen haben. Berührt ein Kind den Lehrer, zuckt er vielleicht überrascht zusammen oder er reagiert, indem er die kleine Hand zurückschiebt. Für das Kind ist die Botschaft klar: Der Lehrer mag mich nicht, er distanziert sich von mir. Ist uns bewusst, dass wir es da mit einer schweren Verletzung einer kleinen Seele zu tun haben? Dieselbe Problematik ergibt sich selbstverständlich auch unter Erwachsenen, am Arbeitsplatz, bei gesellschaftlichen Ereignissen. Wie nah darf ich dem anderen kommen, welche Art der Berührung, des Kontakts erlauben die Spielregeln? Und noch delikater: Welche Art von Kontakt ist eventuell über die Spielregeln hinaus erwünscht von einem Menschen, der mir wichtig ist oder für mich wichtig werden könnte?
Der Philosoph Arthur Schopenhauer erzählt eine hübsche Anekdote über die Stachelschweine: Die Stachelschweine sehnen sich nach Wärme und nähern sich einander. Wenn sie aber sehr nah beieinander
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