Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz
Abstand für eine Begrüßung eine Armlänge ausmacht. Wir treffen uns in der Mitte, reichen einander die Hand, schauen uns kurz in die Augen, und wir wiederholen den Blick von Zeit zu Zeit, um festzustellen, ob die Aufmerksamkeit des Partners noch gegeben ist. Drängt sich jemand näher an uns heran, empfinden wir es als Angriff. Wir weichen zurück oder wir bleiben stehen und sind in Kampfbereitschaft versetzt, was jede Kommunikation verhindert. Besonders selbstbewusste Person lassen es darauf ankommen. Sie drängen sich bewusst in die Schutzzone des Partners, und sie pokern: Wehrt er sich, kann ich auf Augenhöhe mit ihm verhandeln; weicht er zurück, werde ich nachdrängen, um meinen Sieg auszunutzen und ihm Terrain abzugewinnen, da er es freiwillig räumt.
Unfreiwillige Nähe
In der Öffentlichkeit haben wir manchmal die physische Nähe von sehr vielen Menschen zu ertragen, was uns nicht immer leichtfällt. Wir erleben es in öffentlichen Verkehrsmitteln, bei Kundgebungen, Volksfesten, aber auch im Theater, im Konzertsaal oder im Kino, wo wir durch die Dunkelheit während der Vorstellung zumindest ein wenig abgeschirmt sind. In der freien Öffentlichkeit kommt es durchaus zu wirklichen, fühlbaren Berührungen, und manchmal gerät man geradezu in Bedrängnis. Was dann normalerweise geschieht, ist wiederum ein leichtes Zusammenziehen der Muskeln, mit dem wir uns versteifen, als ob wir jede Empfindung, jede Wärme abwehren wollten, die aus einem anderen Körper zu uns dringt, um eine Art Schutzmantel zu bilden, um die eigene Empfindung zu reduzieren. Dabei schauen wir natürlich niemanden an. Wir vermeiden jede stärkere Bewegung, weil sie beantwortet werden könnte, und die Antwort wäre entweder Annäherung oder Aggression. Beim Schlangestehen oder im Gedränge werden wir häufig zu Zeugen von Aggressionen. Indem ich mich versteife, versuche ich meine Unbeweglichkeit zu signalisieren, die es mir unmöglich macht, meinerseits zu drängeln. Damit mache ich es mir auch selbst leichter, die mich einschließende Nähe zu ertragen. Denn jedes Gefühl löst eine Bewegung aus und
Bewegung wäre schon wieder eine Antwort. Ich will aber nicht antworten, weil ich die Kommunikation schlicht verweigere. Löst sich unwillkürlich und absichtslos meine Hand und entsteht eine Berührung, wird mich unvermeidlich auf der Stelle ein strafender Blick treffen, der, wenn die zufälligen Nachbarn Mann und Frau sind, sich auch in eine Ohrfeige verwandeln kann.
Leider sind Menschen von großer Lockerheit und kommunikativem Verhalten, die offen für ein kurzes Gespräch, einen kurzen Gedankenaustausch sind, selten anzutreffen. Solche Mitmenschen sind dann meist auch frei von Vorurteilen, gesellig und voller Humor.
Unfreiwillige Nähe erfahren wir aber auch und vor allem von Personen, die ich gerne als »Berufsberührer« bezeichne, und ich meine damit in erster Linie die Ärzte. Sie drängen sich nicht allein in meine Nähe, sondern man drängt sich in meinen Körper. Der Zahnarzt zum Beispiel steckt seine Finger in den offenen Mund. Seine Arbeit bringt seinen Körper nah an den des Patienten heran. Es geht noch gar nicht um Schmerzen, sondern einfach um Nähe. Dabei hilft es nichts, dass man uns freundlichst auffordert, »ganz locker« zu bleiben, denn allein schon durch die unerwünschte Intimität versteift sich unsere Muskulatur. Unsere Angst, so unbegründet sie sein mag, tut ein Übriges. Die meisten Patienten vermeiden vorsichtshalber jeden Augenkontakt, viele schließen einfach die Augen. Der Arzt sollte jetzt möglichst sachlich bleiben. Es irritiert uns eher, wenn er versucht, durch einen kleinen Scherz Lockerheit beim Patienten zu erzeugen. Hier kämpfen zwei Prinzipien gegeneinander. Es wäre zwar besser, wenn der Patient sich lockerte, aber durch die unerwünschte Nähe versteift er sich noch mehr. Hat der Arzt seine Arbeit getan, sollte er seinen Sessel in eine gewisse Distanz zum Patienten stellen, um mit ihm zu sprechen, und nicht in eine Nähe, die ihm nicht zusteht. Solche Distanzierung erzeugt ganz von selbst eine Lockerung der Stimmung, die das Gespräch zwischen Arzt und Patienten erleichtert.
Viel ernster wird die Situation, die weibliche Patienten bei gynäkologischen Untersuchungen zu ertragen haben. Allein die Stellung, die von der Frau im gynäkologischen Stuhl eingenommen werden muss, kann nicht nur als unangenehm, sondern auch als erniedrigend empfunden werden, wenn der Arzt ohne Zartgefühl vorgeht.
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