Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel
GULag«. Es ist heute kaum vorstellbar in genauerer Kenntnis von Stasi und NKWD-Praktiken, daß sich dieser Mann – mit angeschlagener Gesundheit – quasi unter den Augen des Geheimdienstes jahrelang von ehemaligen Häftlingen Hunderte Berichte schicken ließ, aus denen er das große Enthüllungswerk zusammenfügte.
Er hat die grandiose Collage dreimal abschreiben und in den Westen schaffen lassen. Als der erste Band im Dezember 1973 in Paris erschien, wurde Solschenizyn in der sowjetischen Presse scharf angegriffen, im Februar 1974 verhaftet und ausgewiesen. Der vollbärtige Nobelpreisträger floh zum schnauzbärtigen Kollegen in die Eifel. Vor Bölls Haus standen sie. Trugen sie beide eine Baskenmütze? Sein Werk, das in sechs weiteren Teilen bis 1975 erschien, fand weltweite Verbreitung in Millionenauflagen; der Titel wurde zum Begriff für die sibirische Lagerregion, er wurde Synonym für die gesamte inhumane Lager- und Unterdrückungspraxis unseres traurigen Jahrhunderts.
Für uns heute ist es nicht mehr nachvollziehbar, daß dieses Werk unsere gloriosen Linken nicht ein für allemal bekehrt hat. Trotz Koestler, Gide und Solschenizyn weiter dem Licht der Sonne entgegenschreiten, womöglich Zahlungen empfangen aus Ost-Berlin oder gar aus Moskau, um auch bei uns der geknechteten Arbeiterklasse die sozialistische Freiheit zu verschaffen, deren Knechtung
im Arbeiterparadies doch als geradezu monströs entlarvt wurde, das ist phänomenal. Ich nehme an, unsere fragwürdigen Pintenpolitiker haben den »Archipel GULag« überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, dieses beispiellose Opus magnum, dem nun wirklich der Ausdruck »Jahrhundertwerk« gemäß ist.
Nach dem Fall der Sowjetunion glaubte Solschenizy tragischerweise, er werde in seiner Heimat als ein Prophet angenommen und verehrt. Anhänger sahen ihn gar schon als kommenden Präsidenten. Von Wladiwostok aus kehrte er zurück – siehe, er kommt aus den Wolken – und hielt, sich allmählich nach Westen vorarbeitend, in jedem größeren Flecken politische Erweckungsreden. AchtundfünfzigTage dauerte seine Reise nach Moskau, Station für Station. Doch die Zuhörer waren nichts weniger als verblüfft. Sie hingen nicht an seinen Lippen. Niemand hörte ihm zu. Ja, viele kannten ihn schon gar nicht mehr. So sitzt er denn heute grollend in seiner Datscha (elektrischer Stacheldraht?) und brütet, wie er sein Volk ins Licht führen kann. 43
Susan Sontag
Susan Sontag – die Dame mit dem Silberstreifen im Haar. Ich habe eine hübsche Unterschrift von ihr, schräg liegende gut lesbare Buchstaben, oben links in die Ecke meines Autogrammbuchs gedrückt, alles andere blieb frei. Meine Assistentin, in grünseidenem Hosenanzug, bat sie an meiner Statt darum. Ich selbst hätte mich nicht getraut, wie sie da auf dem Teppich saß.
In Bari liegt sie in ihrem Garten, wenige Kilometer von der Nato-Basis entfernt, und hört die Bombenflugzeuge über sich hinwegzischen. Daß ihr das gefällt, hat sie bekanntgegeben. Der Krieg, so hat sie gesagt, sei gerecht, wenn auch verpfuscht.
Bereits vor sechs Jahren war sie zweimal im belagerten Sarajevo und inszenierte bei Kerzenlicht und hinter zerbrochenen Fensterscheiben im Theater der Jugend die bosnische Erstaufführung von Becketts »Warten auf Godot« – ein Sinnbild für die Hoffnungslosigkeit der malträtierten Bevölkerung und für die Untätigkeit des Westens.
Als personifiziertes öffentliches Gewissen Amerikas hat sie ihre Stimme schon immer erhoben. In den sechziger Jahren reiste sie nach Havanna und nach Nordvietnam, um hinterher sympathisierende Berichte zu veröffentlichen (»Trip to Hanoi«). 1981 dann, nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen, nannte sie den Kommunismus eine Art erfolgreichen Faschismus, was unter Amerikas Linken für kontroverse Diskussionen sorgte. Für den bedrohten Salman Rushdie hat sie später auch mal eine Intellektuellenrallye organisiert.
Geboren ist sie in New York, in einer gutbürgerlichen jüdischen Familie, als Tochter eines Exportkaufmanns, der zeitweise in China einen Pelzhandel betrieb, und einer Lehrerin. Als Vierzehnjährige hat sie mit Thomas Mann Tee getrunken. Nach dem Studium an den Universitäten von Berkeley, Chicago, Harvard, Paris (Sorbonne) und Oxford und einigen Jahren als Universitätsdozentin wurde sie mit einer vielbeachteten Studie über den Einfluß Sigmund Freuds auf die moderne Kultur, gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann verfaßt, weithin bekannt. Berühmt
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