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Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel

Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel

Titel: Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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    Immer habe ich ihre Bücher gelesen, allen voran »Die goldenen Früchte«, aber auch »Das Planetarium« oder die Erinnerungen an ihre Kindheit vor dem Ersten Weltkrieg, mit denen sie uns erfreute. Geboren im Jahr 1900 (oder 1902?) im russischen Ivanovo-Vosnesensk, lebt sie
seit 1912 in Paris, wohin der Vater, ein Gegner der Zarenherrschaft, emigriert war.
    Auf der internationalen PEN-Club-Tagung in Hamburg (wer weiß noch, wann das war?) sollten deutsche Autoren aus den Werken von anwesenden ausländischen Kollegen lesen. Nathalie Sarraute war noch frei. Ich lernte also die alte Dame kennen, zart, klug, aber leider sehr abweisend. Meine Vermutung, sie könne kein Wort deutsch (so benahm sie sich), war ganz verkehrt. Sie las ihren Text in ihrer Muttersprache, dann ich auf deutsch, mich an ihre Diktion anschmiegend. Ohne jede Bewegung verabschiedete sie sich von mir und sagte, in meiner Muttersprache: »Sie haben sehr schön gelesen.« Seither verehre ich sie geradezu rasend. Später erfuhr ich, daß sie auch ein Jahr in Berlin studiert hat. Bis zu ihrer Flucht vor den Deutschen 1941 arbeitete sie in Paris als Anwältin, lebte dann unter anderem Namen in der Provinz.
    Nathalie Sarraute ist als Begründerin eines neuen Stils, als Wegbereiterin des nouveau roman bezeichnet worden, was sie sich immer und immer wieder verbeten hat. Gleichwohl trifft Sartres Diktum vom »Anti-Roman« zu. Angeregt von Joyce, Proust und Kafka, besonders aber von Dostojewski, brach sie völlig mit den Konventionen des herkömmlichen, klassischen Erzählens und setzte an die Stelle von Charakter- und Situationsschilderungen oft zusammenhanglose Dialoge, die die inneren Bewegungen, den »Seelenstoff«, ihrer Figuren erkennen lassen.
Der Sprache, dem Wort, der Konversation gilt ihr Interesse, nicht einer »richtigen« Geschichte. In Essays hat sie sich diesen Fragen eingehend gewidmet.

Arno Schmidt
    Arno Schmidt, der zwar nur wenige Literaturpreise bekam, aber immerhin einmal das Cover des »Spiegel« zierte, war stets in Geldnot, ständig beleidigt, von zurückhaltender Gewalttätigkeit.
    Rowohlt behandelte den mit Ehefrau Alice per Tandem Angereisten höchst ungeschickt: Er lud den Asketen zu einem Schlemmeressen ein. Der Vertrag wurde nicht verlängert. Die Korrespondenz vernichtete man. Später wurde sein Werk von zwei Verlagen vor Gericht hin- und hergezerrt. Reemtsma hat ihm von seinen ererbten Millionen was abgegeben, als es schon zu spät war. Das Verdienst von Alfred Andersch, mit dem man seit Jahrzehnten Abiturienten quält, ist es, ihn mit Aufträgen für den Süddeutschen Rundfunk über Wasser gehalten zu haben. Schmidts Essays haben manchen der altvorderen Dichterkollegen bis heute vor dem Vergessenwerden bewahrt.
    Der große Mann mit der dicken Brille, die noch immer in Bargfeld auf dem schmalen Arbeitstisch liegt, zwischen Weltempfänger und Barometer: Von klarem Schnaps und
Maggi pur hat er sich genährt, von Nescafé und Aspirin flankiert, und sonntags mag es eine Büchse Corned beef gegeben haben. Anhängliche Visitatoren sahen ihn wild durchs Moor ziehen, einen Knotenstock in der Hand. Auf der Flucht und doch der Besucher bedürftig. Andere trafen ihn am 1,50 m hohen Zaun plus Stacheldraht und durften ein paar Worte wechseln mit ihm. – Er schmiß die Tür zu, als mal einer zu ihm durchgedrungen war. Ein liebenswerter Geselle, dieser ungehobelte Patron. Ist er ein Männerautor? Wird er von Frauen gelesen? Gibt es im Dechiffrierungsverein 41 Studienrätinnen?
    Immer bösartig zu aller Welt, wohl weil er extrem liebesbedürftig war. (Gott, wie er mich hat abfahren lassen, und ich wollte ihm doch nur etwas Freundliches sagen.) Hesse nannte ihn einen »schnoddrigen und sehr begabten Dichter«. Schmidt seinerseits hielt Thomas Mann für »unbedeutend« und setzte auf Döblin. Mit dem geistigen Klima der fünfziger Jahre hatte er seine Probleme. Man verklagte ihn wegen Gotteslästerung und Pornographie.
    Als junger Mann hat er sich so unsinnigen Dingen gewidmet wie dem Ausrechnen einer zehnstelligen Logarithmentafel. (In der Zeit hätte er mal lieber einen Roman schreiben sollen.) Seine am Ende doch erreichte Berühmtheit
führte dazu, daß man auch seine Klassenkameraden zu Wort kommen ließ. Ob er ein anständiger Kerl gewesen sei: Ja, er sei es. Die Hoffnung, daß aus seinem Nachlaß noch Nennenswertes zu heben gewesen wäre, trog. Ob auch er jetzt im Elysium an »Dichtergesprächen« teilnimmt, mit Cervantes und

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