umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)
aus betrachtete, entbehrte die Geschichte auch nicht einer gewissen Logik. Wie gesagt, sie hinkte nur an einer Stelle, allerdings an der alles entscheidenden: Churchill war 1936 nicht in Berlin gewesen.
So viel zum Thema Verschwörungstheorien. Sie hinken immer, und da tritt dann der feste Glaube an die Stelle, wo die fehlenden Tatsachen ihre Lücke hinterlassen, und kittet das Ganze zusammen. Und einen Glauben zu erschüttern ist schwerer, als eine Tatsache zu widerlegen.
»Ich geh damit nache BILD-Zeitung. So mach ich dat. Ich lass doch meinen Freund nich im Stich, nur weil du ihm nich glaubs.«
Borowski war aufgestanden, hatte sich in Pose geworfen, fuchtelte mit der brennenden Zigarre herum und zeigte auf das Foto von Churchill. »Guck dich ma die Nase von den Herrmanns an und die von dem Churchill, und die Ohren. Guck doch mal. Setz dem Herrmanns so’n englischen Hut auf, dann hasset. Eins zu eins.«
Ich brauchte gar nicht hinzusehen, es stimmte durchaus, dass Churchill eine markante Knollennase hatte. Aber Herrmanns hatte keine – er hatte einen Zinken. Wer hier eine Knollennase hatte, war Borowski. Und die Ohren, na gut, vielleicht … Aber um so was biometrisch zu bestimmen, braucht es einen Experten.
»Und beide rauchen dieselben Zigarren und allet. Die Statur und so … Und dat die Mary ihren Filius den zweiten Namen Winston gegeben hat.«
»Ja, mein Gott, vielleicht hatte sie tatsächlich anno ’36 ein Techtelmechtel mit irgendeinem Winston aus Gottweißwoher. Aber daraus kann man doch keinen Verwandtschaftsnachweis bis zu den Churchills führen!«
Borowski stippte die Zigarre in die dreckige Spüle, wo sie zischend ausging.
Ich wusste, dass ich gegen Borowskis Nibelungentreue keine Chance hatte, und sagte: »Wenn du zur BILD-Zeitung gehst, dann kann ich dich nicht dran hindern, aber lass dir gesagt sein, du machst einen Fehler. Warte ab, bis Herrmanns wieder zu sich gekommen ist. Wer weiß, vielleicht will er das gar nicht mehr rumposaunen.«
»Aber die Churchills haben doch dat Attentat auf den verübt. Die haben den inne Falle gelockt und dann, zack, umgefahren. Die Bande is natürlich längst über alle Berge. Und gezz lachen die sich kaputt. Hasse den Brief von dem feinen Anwalt da aus London nicht richtich gelesen? Der droht doch! Die haben dat genauso gemacht wie bei Lady Diana, um ihre Weste sauber zu halten.«
Klassiker! Zur Untermauerung einer löchrigen Verschwörungstheorie zieht man die nächste heran. Fehlte nur noch ein weißer Fiat Uno.
»Ich will, dat die feinen Pinkel dafür bezahlen!«
Herrje, und am Ende des Tages geht’s wieder nur ums Geld.
»Borowski, mach, was du willst. Ich kann dir nicht helfen. Tut mir leid, dass die Weltgeschichte jetzt nicht neu geschrieben werden muss.«
Ich schaute auf die Uhr, die über der Küchenzeile hing. Es war schon kurz vor vier. Ich war über drei Stunden auf dem Funk nicht zu erreichen gewesen. Kieslowski würde mich umbringen. Ich schob die Papiere auf dem Campingtisch zusammen und gab sie Borowski zurück. »Lass es einfach sein. Bitte. Wenn der Herrmanns das glauben will, lass es ihn glauben. Aber mach kein Fass auf damit. Und wenn du wirklich ein Freund bist, dann halt du ihn davon ab, ein Fass aufzumachen.«
Borowski nahm die Mappe und die Briefe entgegen. Er verstaute alles wieder im Ofen. »Du willz also nich«, grummelte er. »Da will sich keiner die Finger dran verbrennen. Ihr habt doch alle Schiss inne Buxe.«
»Genau. Ich werde mich nicht grundlos mit den Herzögen von Marlborough anlegen. Soll ich dich noch irgendwo hinfahren? Nach Hause vielleicht?«
Er blinzelte müde und musste wohl erst darüber nachdenken, ob er mir eine Abfuhr erteilen sollte oder ob ihm heute der Hintern näher als die Hose war.
»Dat wär’ nett. Ich muss morgen um acht bei dem Van der Baack sein. Am Wochenende is der und seine Frau Heckel nich da, dann soll ich den Pool sauber machen. Der will mir noch zeigen, wie man dat macht. Und wenn die wech sind, kann ich schön noch ’ne Runde schwimmen. Sieht ja keiner, ne?«, gluckste Borowski. Er drehte das Gaslämpchen herunter, ich blies die Kerze aus, und wir verließen die Laube. Regen und Hagel hatten sich verzogen und einem tiefschwarzen, klaren Himmel Platz gemacht.
»Wie ist der Herr Villenbesitzer denn so?«, fragte ich, als wir den dunklen Weg durch die Kleingartensiedlung nahmen.
»Ach, der fraacht einem Löcher in den Bauch, sach ich dir. Will allet wissen über den Herrmanns, als
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