umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)
war. Und das ist eine geschichtliche Tatsache.«
»Und woher weisse dat?«
»Weil ich ab und zu auch mal aufgepasst hab im Geschichtsunterricht.«
»Ach, die Historiker, die lügen doch auch! Und der war ja auch gar nich in offizielle Mission in Berlin. Der war da heimlich, als Spion, und da hat er die Mutter vom Herrmanns im Adlon getroffen, die da Zimmermädchen gewesen war. Glaubs du, dat die Churchills dat zugeben würden, wenn ihr Winston in Berlin inkognito rumpoussiert, mit’ne Deutsche! – die dann auch noch’n Kind von dem kricht? Und auch noch’n Sohn?! Einen Erben. Mach’s dir doch kein Begriff von, um wie viele Millionen dat da geht.«
Ja, so lautete Herrmanns’ Argumentation, die er in aller Ausführlichkeit niedergeschrieben hatte: Churchill war angeblich inkognito in Berlin gewesen, um die Lage der erstarkenden Nazi-Nation vor Ort zu sondieren. Wie allerdings das Gesicht eines Winston Churchill inkognito hätte bleiben sollen, das erklärte Herrmanns nicht. Sein Glaube beruhte auf dem, was seine Mutter ihm aufgetischt hatte: dass es in den Gästelisten des Adlon einen Randolph Blenheim gegeben habe. Blenheim hieß der Besitz der Churchills, also der Herzöge von Marlborough. Die Gästelisten seien während des Krieges verloren gegangen, sodass ein echter Beweis leider nicht mehr aufzutreiben war. Seine Mutter habe, so erklärte Herrmanns in seinen Aufzeichnungen, nach dem Krieg einen Brief an Churchill geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten. Danach hatte sie es aufgegeben. Wie sie ihrem Sohn erklärt hatte, wollte sie nicht auf Knien nach England rutschen – dazu war sie zu stolz gewesen. Also hatte sie ihrem Filius einen standesgemäßen Namen verpasst und sich mit dem Kleinen in den nächsten Jahren alleine durchgeschlagen.
Wäre die Geschichte wahr, dann hätten wir eine historische Sensation gehabt. Aber alles klang so fadenscheinig und zusammengereimt, eben der Fantasie einer verzweifelten alleinerziehenden Mutter entsprungen, die ihrem Kind etwas mehr auf den Weg geben wollte als Brot und Stippe und die traurige Geschichte eines von wem auch immer verführten Zimmermädchens.
In den 25 Briefen, die ich durchgesehen hatte, beschwerte sich die Familie Churchill von Mal zu Mal heftiger über das Ansinnen von Herrmanns, einen offiziellen DNA-Test durchführen zu lassen. Kein Wunder, möchte ich mal meinen. Der letzte Brief aus dem Jahr 2001 war, soweit man das bei den britischen Höflichkeitsfloskeln sagen konnte, so was wie eine Androhung gerichtlicher Schritte, wenn Herrmanns sie nicht in Ruhe lassen würde. Das Schreiben kam von einer Anwaltskanzlei in London mit mächtig vielen Namen im Briefkopf. Seitdem hatte er es wohl aufgegeben, den endgültigen Beweis einzufordern, denn es gab keine weiteren Eintragungen in seiner Akte und keine Antwortschreiben mehr.
Herrmanns hatte zu allem Unglück zudem irgendwann dieses Foto mit der Widmung ›Für Mary‹ bei einer Auktion ergattert und hielt es für ein Geschenk von Churchill an seine Mutter. Die hatte Maria geheißen, war aber von allen immer nur Mary genannt worden, wie er lang und breit in seinen Akten ausführte, und das war für ihn der gültige Beweis seiner Herkunft. Er war sich sicher, dass das Bild immer neben dem Bett seiner Mutter gestanden hatte. Es sei im Krieg zunächst verschollen, aber er hatte es Jahre später auf einer Auktion wiedergefunden.
Armer Herrmanns.
Ich hatte mir früher auch gerne vorgestellt, ein vertauschtes Kind zu sein, das eigentlich ganz woanders hingehörte, aber auf gar keinen Fall in mein Elternhaus. Ein paar Jahre lang hatte ich mich mit dem Gedanken getröstet, dass ich in feine Schweizer Internate und nicht auf die Annette-von-Droste-Hülshoff-Mädchenrealschule gehörte. So sehr ich auch hoffte, nie kam irgendein Anwalt in feinem Zwirn aus Zürich, um mich meinen Entführern zu entreißen und endlich meiner richtigen Familie zuzuführen. Einer adligen Familie nämlich, die weit, weit weg in Afrika eine Kaffeeplantage betrieb.
Irgendwann hatte ich einsehen müssen, dass so etwas nie passieren würde, weil ich wahrscheinlich doch bei meinen richtigen Eltern aufwuchs. Was ich allein daran erkennen konnte, dass ich dieselben Locken wie mein Vater hatte, die leichten O-Beine meiner Oma und den Starrsinn meiner Mutter.
Herrmanns hatte das Märchen, das ihm seine Mutter erzählt hatte, geglaubt und nach Beweisen und Bestätigung gesucht. Warum auch nicht? Wenn man alles von seinem Standpunkt
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