Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)

umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)

Titel: umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minck
Vom Netzwerk:
mal zeigen könnte, tauchten die ersten Köpfe der Kinder am Treppenabsatz auf. Die Händler stoben auseinander, um hinter ihren Ausstellungsständen Posten zu beziehen und zu retten, was noch zu retten war. Die Lehrerin erreichte nach Luft schnappend den Treppenabsatz und keuchte: »Nichts anfassen, Kinder«, aber es war schon zu spät. Irgendein Superschlau hatte sich zwei kleine Holzschlegel gegriffen und klöppelte auf einer liegenden Harfe, so sah das Instrument jedenfalls aus, bereits den ›Ketchup Song‹. Die Klassenkameraden bejubelten den jungen Künstler, und einige Mädchen versuchten sich an der Choreographie. Es sah eher aus wie der Ententanz, aber ihrem Enthusiasmus hatten die Pullunder nichts entgegenzusetzen.
    Ich ließ die Viertklässlerperformance hinter mir und flüchtete an einen Stand weit ab vom Geschehen. Der gehörte einem Briten. Er handelte mit Arpeggione und Zistern. Der Mann sah entgegen meiner Erwartung gesund aus und trug definitiv den schmucksten Pullunder. Er stellte sich mir als Stephen vor. Ich outete mich sofort als kompletter Laie von der Presse, woraufhin er für mich enthusiastisch ein paar Takte auf einer, wie er es nannte, Barockgitarre zupfte, die nicht nach den Bravo- Charts klangen, sondern wie etwas, das schon Heinrich VIII. das Dinner verhagelt hatte. Dabei erklärte er mir in einem sehr schnell gesprochenen englisch-deutschen Mischmasch die Vorzüge seiner Handwerkskunst. Während ich den Briten dozieren ließ, blätterte ich im Ausstellungskatalog und tat interessiert, und auf Seite 70 war ich das plötzlich auch wirklich. Da war ein Instrument abgebildet, dessen Umrisse genau zu dem hellen Fleck an der Wand von Van der Baacks Musikzimmer passte. Neben der Abbildung stand: Viola d’amore, Stadler, 1714. Sammlung Van der Baack.
    Ich unterbrach Stephens Vortrag und zeigte auf das Instrument: »Ist das hier?«
    »Oh, Sie sind doch ein Expert, was? No, sorry«, fuhr er betrübt fort, »es hätte sollen sein hier.«
    »Ach? Warum ist es nicht da?«
    »Miss Heckel sagt, Van der Baack hat es sich überlegt anders … Irgendwelche Problems mit Versicherung. Das war ein große Disappointment für alle.«
    »Ach so. Bestimmt wahnsinnig wertvoll?«
    »Absolutely. Die People kommen aus ganz Europa, um das zu sehen. And now? Keine Stadler. Very disappointing.«
    »Hm, schade.«
    »Und keine hatte das geglaubt mit die Insurance.«
    »Und warum nicht?«
    »Because …«, Stephen sprach nicht weiter. Sein vorher so freundliches Gesicht verzog sich schlagartig zu einer reservierten Maske, und er deutete in den hinteren Bereich des großen Saales. Dort stand eine Frau an einem halb abgebauten Stand. Sammlung Van der Baack/Wolkensteinharfe 1420 stand groß an einer leeren Vitrine, die noch nicht fortgeräumt worden war. 1420, war das jetzt der Preis oder der Jahrgang?
    »Ist das Frau Heckel?«
    »Oh yes.«
    »Was wollten Sie denn grad noch sagen?«
    »Isch? Oh nothing. I am sorry.«
    Das war ja ein schneller Sinneswandel. Interessant war, dass er offensichtlich durch den Anblick von Frau Heckel hervorgerufen worden war.
    »Dann muss ich mal los. War nett, mit Ihnen zu plaudern«, sagte ich zu Stephen und ging auf Frau Heckel zu.
    »Do not touch! Don’t even think about it. Please …«
    Ich drehte mich noch mal um. Stephens Stand war von der Schulklasse eingenommen worden. Er ragte aus der wogenden Menge hervor und schaute mir hinterher wie ein Ertrinkender. Schon erklang wieder der ›Ketchup Song‹, diesmal gezupft und nicht geklöppelt.
    Frau Heckel war um die 40, mittelblond und sehr schlank. Sie trug ein Kaschmir-Twinset, Perlenkette, Rock bis zum Knie, und flache Pumps. Ihre ganze Ausstrahlung war irgendwie … beige. Mattbeige, stumpfig, lehmig beige. Auch ihren hellbraunen Augen fehlte jeglicher Glanz. Sie lächelte nicht einmal aus Höflichkeit, als ich ihr die Hand entgegenstreckte. Drückte sie die Trauer um ihren Chef etwa dermaßen nieder?
    »Korff, Redaktion Stern … Guten Tag, Frau Heckel. Mein Beileid.«
    Mit einem strengen Blick auf mein Äußeres sagte sie: »Ich hätte nicht gedacht, dass der Stern seine Redakteure so schlecht bezahlt.«
    Okay?! Ich hätte sagen können, zu viel Beige macht plump, selbst Ihre schlanken Fesseln, aber die Journalistin Wilma Korff hielt sich nicht lange mit spitzen Bemerkungen auf. »Tut er auch nicht, Frau Heckel, ich bin bloß seit drei Wochen nicht zu Hause gewesen, weil mich die Redaktion von einem Ort zum anderen jagt; und

Weitere Kostenlose Bücher