Umwege zum Glück
eigentlich zu Mittag gegessen?“ fragte Mutti. „Wenn nicht, habe ich einen wirklich guten Eintopf, ich wärme ihn ganz schnell auf…“
Kurz danach saßen wir drei „Weitgereisten“ beim Eintopf, während Mutti den Kaffee aufbrühte. Dann gab es ein urgemütliches Kaffeestündchen. Wir kamen vor lauter Fragen und Antworten kaum dazu, von dem verlockenden Weihnachtsgebäck zu essen.
„Na, Reni?“ fragte Kai zuletzt, nachdem ich alles mögliche über meine Studien, meine Freundinnen und die Donnerstagstanten erzählt hatte, „was macht denn die Liebe?“
„Nachdem Uwe sich verlobt hat, meinst du? Oh, danke der Nachfrage! Ob ich verliebt bin, weiß ich nicht so genau, aber ich habe einen äußerst attraktiven Verehrer.“
„Nähere Einzelheiten dringend erbeten“, verlangte Papa.
„Nein, zu Einzelheiten sind wir noch nicht gekommen, so gut kennen wir uns noch nicht!“
„Du weißt sehr gut, was ich meine, du freche Göre. Wie heißt er, wie alt ist er, was macht er, wofür interessiert er sich?“
„Für mich!“
„Und für was sonst? Politik, Kunst, Wissenschaft, Sport? Hat er ein Steckenpferd?“
„Ich weiß nicht“, sagte ich ehrlich. „Tatsächlich, ich weiß es nicht. Er verkauft Möbel, das ist sein Beruf, und er hat Volkswirtschaft studiert, und… Ja, für Sport interessiert er sich, glaube ich, und er kann phantastisch gut Auto fahren. Ja, und er sieht sehr gut aus.“
„Sieh zu, daß du ihn besser kennenlernst“, riet Kai. „Nicht wahr, Madeleine? Bevor wir heirateten, wußten wir alles voneinander, alle Fehler und Schwächen und alle guten Seiten.“
„Ach, die hast du auch?“ fragte ich und wurde dafür von Madeleine an den Haaren gezogen.
„Mein Eheweib behauptet es“, sagte Kai. „Aber du weißt, Liebe macht blind. Hör, kleine Schwägerin, ein ernstes Wort. Du bist ein sehr charmantes kleines Menschenkind – nein, nicht unterbrechen – , und außerdem bist du oder wirst du einmal ein reiches Mädchen. Bevor du, impulsiv wie du immer bist, einen Kopfsprung in eine Verlobung machst, mußt du, noch gründlicher als andere Mädchen, den Gegenstand deiner Liebe kennenlernen. Um es sehr brutal zu sagen, du mußt herausfinden, was er mehr liebt, dich oder dein Geld.“
„So, nun höre ich dies heute zum zweiten Mal. Meine Freundin Anke…“
„Ist ein kluges Mädchen, falls sie dasselbe gesagt hat!“
„Kai hat recht, Reni“, sagte Madeleine in ihrer lieben, sanften Art. „Und ich möchte noch etwas hinzufügen: Heirate nicht einen Mann, weil er charmant ist und dich mehr oder weniger anbetet. Heirate ihn, wenn du ganz, ganz sicher bist, daß du ihn liebst! Wenn du Herzklopfen kriegst, wenn du ihn auf der Straße siehst, wenn du in jedem Gesicht nur nach Ähnlichkeiten mit ihm Ausschau hältst, wenn du vor einem Stelldichein mit ihm das Gefühl hast, die Uhrzeiger bewegen sich überhaupt nicht. Wenn du weißt, daß du ohne einen Seufzer auf alles verzichten könntest, nur um ihn zu behalten –, auf dein Auto, deinen Pelz, deinen Schmuck, die jährlichen Reisen, deine Bücher, deine Schallplatten, kurz, auf alles, was dein Leben so richtig angenehm macht.“
„Empfindest du es so?“ fragte ich kleinlaut.
„Das tu ich! Seit dem Augenblick, wo ich Kai zum ersten Mal sah!“
Ich schwieg. So hatte ich es nie empfunden. Ich hatte viele Freunde gehabt, war auch zwischendurch verliebt gewesen. Aber so wie Madeleine es ausdrückte –, nein, das hatte ich nie erlebt.
Aber schön müßte es sein!
Wie ich denken lernte
„Das ist doch ganz einfach, Reni! Du nimmst in jeder zweiten Reihe eine Masche zu auf beiden Seiten der vier Trennmaschen, dann bildet sich die Raglanschrägung ganz allein.“
Ich schwitzte über einer kleinen weißen Strickarbeit, Madeleine beschäftigte sich schnell und mühelos mit einer zartgelben.
„Weiß und gelb sind neutral“ hatte Madeleine mir erklärt, als wir die Wolle kauften. „Solange wie wir nicht ahnen, ob wir ein Schwesterlein oder ein Brüderlein zu bestricken haben…“
Jetzt gab sie sich alle Mühe, mir ihr „Patentverfahren“ zu erklären: Babyjäckchen, die man von oben nach unten strickt, damit das Anstricken später, wenn das Kind größer geworden ist, leicht und einfach geht.
Es war der dreiundzwanzigste Dezember. Vati hatte sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Im Wohnzimmer war Kai dabei, den großen Weihnachtsbaum aufzustellen. Oben in den Schlafzimmern tobte die Vormittagshilfe, die putzfreudige
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